100 Filme: Außer Atem (À bout de soufflé)

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Auf DVD: Außer Atem (À bout de soufflé)

Drama, Frankreich 1959, Regie: Jean-Luc Godard, mit Jean-Paul Belmondo, Jean Seberg, s/w

Intro: In den 50er Jahren war das europäische Kino in mancherlei Hinsicht festgefahren. Viele der besten Regisseure, Autoren und Kameramänner hatte es wegen der Nazizeit nach Übersee verschlagen (Fritz Lang, Jean Renoir, Billy Wilder, Fred Zinnemann usw usf), und die verbliebenen alten Recken bedienten eher konservative Sehgewohnheiten. Selbst der italienische Neorealismus war nicht mehr der allerletzte Schrei.

Gegen Ende des Jahrzehnts bis Mitte der 60er Jahre rückte indes eine neue Generation von Regisseuren nach, und so entstand in den meisten bedeutenden Filmländern eine neue Kinoästhetik, die sich deutlich gegen Opas Kino abgrenzte (so in Deutschland ab etwa 1965 der Junge Deutsche Film mit Vertretern wie Alexander Kluge und Volker Schlöndorff). Die einflussreichste Gruppe bildete indes die Nouvelle Vague in Frankreich. Obwohl kurzlebig (Ende der 60er Jahre war die Bewegung mehr oder weniger tot), beeinflusste sie das Kino in nachhaltiger Weise. Einer der markantesten Vertreter der Neuen Welle war Jean-Luc Godard mit Außer Atem.

Inhalt: Wieder einmal ist der reine Inhalt kaum geeignet, die Bedeutung des Films zu spiegeln, und das war auch volle Absicht. Godard wählte eine eher triviale Gangstergeschichte als Hintergrund seines Debüts und widmete es den Monogram Pictures, einer in den USA auf extrem billige B-Ware spezialisierten Filmgesellschaft: Autodieb Michel (Belmondo) klaut für eine Spritztour nach Paris ein Auto und gerät unterwegs in eine Kontrolle. Er verliert die Nerven und erschießt einen Polizisten. In Paris schlüpft er bei der amerikanischen Studentin Patricia (Seberg) unter, doch die Polizei ist ihm dicht auf den Fersen.

Filmhistorisch bedeutsam, weil: Radikaler als andere Vertreter der Nouvelle Vague setzte Godard auf eine neue Filmsprache. Wirklich neu waren seine Einfälle zwar nicht (der Experimentalfilm hatte etliches davon vorweg genommen), doch bisher hatte sich immerhin niemand getraut, so etwas in einem normalen Film zu versuchen. Dazu gehören an erster Stelle die Jump Cuts, das sind Bildsprünge, die entstehen, wenn aus einer laufenden Einstellung einfach etwas weggeschnitten wird.

Solche Jump Cuts galten verständlicherweise als die absolute Todsünde des Schnitts, sozusagen der übelste Verstoß gegen die Filmästhetik überhaupt. Heute dagegen ist das Stilmittel auch aus Mainstream-Produktionen nicht mehr wegzudenken. Glaubt man Godard, hatte er diese Jump Cuts ursprünglich nicht unbedingt geplant. Er sagt:

Erste Filme sind immer sehr lang. Denn verständlicherweise will man nach 30 Jahren in seinen ersten Film alles reinpacken. Deshalb sind sie immer so lang. Und ich war auch keine Ausnahme von der Regel, mein Film war zweieinviertel bis zweieinhalb Stunden lang, und das war unmöglich, er durfte laut Vertrag nur anderthalb Stunden dauern. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie dieser berühmte Schnitt zustande kam, der heute immer in Werbefilmen verwendet wird. Wir haben uns alle Einstellungen vorgenommen und systematisch das geschnitten, was wegkonnte, uns dabei aber bemüht, einen Rhythmus einzuhalten. (Jean Luc Godard: Einführung in eine wahre Geschichte des Films, Ffm: Fischer Verlag 1984, S. 29)

Godard erweckt sogar den Eindruck, als sei diese radikale Neuerung das Ergebnis einer Kette von Zufällen:

Zum Beispiel war da eine Sequenz mit Belmondo und Seberg im Auto - das war gedreht: eine Einstellung auf ihn, eine auf sie, sie antworteten einander. Als wir zu dieser Sequenz kamen, die gekürzt werden mußte, haben wir mit der Cutterin Kopf oder Zahl gespielt. Wir haben uns gesagt: Statt ein Stückchen bei ihm und ein Stückchen bei ihr zu kürzen und lauter kurze Einstellungen von beiden zu machen, kürzen wir vier Minuten, indem wir entweder ihn oder sie ganz rausnehmen, und dann schneiden wir einfach eins ans andere, als ob es eine einzige Einstellung wäre. Dann haben wir gelost um Belmondo und Seberg, und Seberg ist dringeblieben. (Ebd.)

Andere Neuerungen waren die mit unsteter Handkamera an Originalschauplätzen gedrehten Außenszenen, bei denen Godard es offensichtlich völlig egal war, wenn ständig Passanten in die Kamera glotzen. Aber auch das war letztlich eine Budgetfrage, denn Außer Atem war ein billiger Film (insofern tatsächlich den Monogram-Produkten verwandt).

Godards Debüt stieß nicht auf Anhieb überall auf Gegenliebe. Der damalige Kritiker des katholischen film-dienst etwa regte sich entsetzlich über das unmoralische Stück auf und vergab die Tiefstnote (abzulehnen). Es dauerte seine Zeit, bis die Neuerungen Godards ihren Weg in den Mainstream fanden, aber dort haben sie sich inzwischen so nachhaltig eingenistet, dass man es schon langsam nicht mehr sehen mag, wenn wieder jemand meint, Wackelbilder, schlechter Ton und grauenhafter Schnitt seien ein untrügliches Indiz für Originalität. Jean-Luc Godard freilich kann nichts für die vielen zweit- bis drittklassigen Nachahmer.

Abspann: In den 60er Jahren wurden Godards Filme zunehmend essayistischer und wandten sich radikal vom Publikum ab. Nach Week-End (1967) drehte er eine Weile nur noch für einen verschwindend kleinen Kreis von Godard-Jüngern, die es ihm auch verziehen, wenn er in Le gai savoir (1969) minutenlang die Leinwand schwarz ließ. Mit Sauve qui peut (la vie) (1980) begann er eine zweite Phase hoher Produktivität, doch das Interesse an seinen neueren Werken hat international stark nachgelassen. Seine besten Filme bleiben indes bis heute uneingeschränkt sehenswert.

Abspann 2: 1982 inszenierte Jim McBride das auf schwüle Erotik getrimmte Remake Atemlos mit Richard Gere und Valérie Kaprisky. Ähnlich wie Godard gelang es ihm durchaus, den Zeitgeist seiner Epoche einzufangen, wozu eben auch eine gewisse gelackte Oberflächlichkeit zählt.