100 Filme: Metropolis

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Auf DVD: Metropolis

Science Fiction, Deutschland 1927, Regie: Fritz Lang, Buch: Thea von Harbou, mit Gustav Fröhlich, Brigitte Helm, Alfred Abel, Rudolf Klein-Rogge, Heinrich George, Fritz Rasp

Vorspann: Der möglicherweise bekannteste deutsche Stummfilm überhaupt war und ist bei der Filmkritik nicht unumstritten. Der englische Schriftsteller H. G. Wells (Die Zeitmaschine, Krieg der Welten) schrieb dazu:

Ich habe neulich den dümmsten aller Filme gesehen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, einen noch dümmeren zu machen. Er heißt Metropolis.

Wells, der natürlich Michael Bays Armageddon noch nicht kennen konnte, begründet sein Urteil damit, dass Metropolis ein einziges Chaos verschiedenster Stile und technischer Zeitalter sei, worin vorsintflutliche Doppeldecker durch futuristische Straßenschluchten tuckern.

Nun ja, ganz falsch liegt Wells nicht. Für einen Film, der so oft bewundert wird und sogar zum Weltdokumentenerbe der UNESCO zählt, ist Metropolis schon reichlich unsinnig. Doch der Reihe nach:

Inhalt: In der gigantischen Zukunftsstadt Metropolis leben die Menschen streng nach sozialer Schicht getrennt. In der Oberstadt lebt das Großkapital, in der Unterstadt hausen unter erbärmlichsten Bedingingen die Arbeiter, abgestumpft und zur gleichförmigen Masse verkommen. Nun entspinnen sich hier zahlreiche, nicht immer geschickt verknüpfte Handlungsstränge, die am Ende zur Rebellion der Arbeiter führen - und zur Versöhnung mit den hedonistischen Nichtstuern aus der Oberstadt.

Filmhistorisch bedeutsam, weil: Metropolis hat zwei Seiten. Brillant ist die visuelle Umsetzung, obgleich da stilistisch in der Tat wenig zusammengeht. Da bastelt ein romantischer Erfinder-Zausel in seiner Alchemistenküche einen hypermodernen Roboter (ein Milliarden-Dollar-Forschungsprojekt aus dem Hobbykeller, sozusagen). Aber rein zum Anschauen ist das alles wunderbar.

Inhaltlich dagegen, und da haben Kritiker wie Wells völlig Recht, ist Metropolis dämlich bis an die Schmerzgrenze. Siegfried Kracauer analysierte in seinem immer noch lesenswerten Buch Von Caligari zu Hitler die autoritären und vorfaschistischen Tendenzen im deutschen Kino der Weimarer Republik, und dabei kommen Metropolis und Fritz Lang gar nicht gut weg:

In Nibelungen hatte (Langs) dekorativer Stil eine vielfältige Bedeutung; in Metropolis erscheint das Dekorative nicht nur als Selbstzweck, sondern unterläuft sogar gewisse, mittels der Handlung getroffene Aussagen. (...) In seinem unbedingten Willen zur Ornamentalisierung scheut Lang nicht davor zurück, dekorative Muster aus jenen Massen zu bilden, die verzweifelt der Überflutung der Unterstadt zu entfliehen suchen. Die Überschwemmungsszene, filmisch eine unvergleichliche Leistung, bezeugt menschlich ein schockierendes Versagen. (S. 159)

Zudem wirkt das Motto aus Metropolis, wonach der Mittler zwischen Hirn und Hand das Herz sein solle, zwar schön stabgereimt, sonst aber wie ein Anwärter auf den Preis der hirnlosesten Hirn-Sätze. Kracauer dazu:

Tatsächlich könnte Marias Forderung, daß das Herz zwischen Hand und Hirn vermitteln muss, ohne weiteres von Goebbels stammen. Auch er appellierte - im Namen totalitärer Propaganda - an das Herz. (S. 172)

Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Lang erzählte selbst, wie Goebbels ihn 1933 zu sich bestellt und ihn wegen Metropolis auch im Namen Hitlers überschwänglich gelobt habe. Das Angebot, für die neuen Machthaber Filme zu drehen, schlug Lang freilich aus und emigrierte kurz darauf nach Amerika, wo er in Hollywood vor allem mit Thrillern und Western Erfolg hatte.

Das von Lang in Metropolis bis zum Exzess gepflegte ästhetische Prinzip, Menschenmassen als Muster auszurichten, griffen die Nazis dennoch dankbar auf, und in den Filmen Leni Riefenstahls wurde dies wenig später auf die Spitze getrieben. Über Triumph des Willens (ein Werk über den Nürnberger NSADP-Parteitag 1934) schreibt Kracauer:

In Nürnberg erschien das Ornament der Masse (...) in gigantischen Ausmaßen: ein Meer von Flaggen und Menschen, die kunstvoll ausgerichtet waren. Seelen wurden durch und durch manipuliert, wie um den Eindruck zu schaffen, das Herz vermittle zwischen Hirn und Hand. (S. 287)

Leider versagt Lang auch völlig bei der Analyse einer kapitalistischen Gesellschaft. Die dargestellten Arbeitsabläufe, die doch immerhin zentral für die Aussage des Films sind, ergeben keinen Sinn: Da drehen die geknechteten Arbeiter wie die Blöden an einem Stellrad herum, was aber bereits mit der Technik der 1920er Jahre leicht zu automatisieren gewesen wäre; zudem fliegt das ganze Ding schon bei der geringsten Fehlbedienung in die Luft. Man vergleiche diesen Unsinn mit der satirisch treffenden Darstellung in Charlie Chaplins Moderne Zeiten.

Kurz und gut, es hilft nichts: Metropolis ist und bleibt ein strunzdummer Film, da ist nun mal nichts zu retten. Warum erscheint er dann in dieser Liste mit 100 bedeutsamen (Meister-)Werken? Kracauer hat es mit der Formulierung filmisch eine unvergleichliche Leistung mal wieder auf den Punkt gebracht. Mit einer für die damalige Zeit beachtlichen Tricktechnik hatte Fritz Lang Bilder geschaffen, die nicht allein den Science-Fiction-Film bis heute prägen.

So fragwürdig die Ästethik im einzelnen ist, so beeindruckend bleibt ihre Umsetzung bis heute. Noch im Jahre 2010 präsentiert sich R'n'B-Chanteuse Janelle Monáe auf dem Cover von The ArchAndroid mit einem schicken Metropolis-Hütchen und kann immer noch sicher sein, damit ziemlich hip auszusehen (siehe auch ihr Vorgängeralbum).

Abspann: Fritz Langs extrem aufwendiger Film war bei Publikum und Presse kein großer Erfolg. Die miserablen Einspielergebnisse ruinierten fast die Ufa, und mit seinen nächsten Projekten musste Lang dann erst mal wieder etwas kleinere Brötchen backen. Dem Misserfolg ist es auch geschuldet, dass der ziemlich lange Film schnell gekürzt und verschandelt wurde. Lange Zeit galt dieses Material als unwiderbringlich verloren. Doch 2008 tauchte in Buenos Aires eine nahezu komplette 16-mm-Kopie auf, mit deren Hilfe sich die meisten fehlenden Szenen wieder rekonstruieren ließen. Diese Fassung wurde bei der Berlinale 2010 trotz eisiger Kälte auf einer Open-Air-Leinwand gezeigt.