100 Filme: Zazie (Zazie dans le Metro)

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Auf DVD: Zazie (Zazie dans le Metro)

Komödie, Frankreich/Italien 1960, Regie: Louis Malle, mit Catherine Demongeot, Philippe Noiret, Hubert Deschamps, Vittorio Caprioli, Annie Fratellini, Carla Marlier, Odette Picquet, Jacques Dufilho

Intro: Neben Jean-Luc Godard und François Truffaut gilt vor allem Louis Malle als zentrale Gestalt der Nouvelle Vague, mit der die Franzosen Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre die Sehgewohnheiten des Publikums kräftig aufmischten. Auch wenn das von Publikum und Kritik zunächst nicht immer gewürdigt wurde, war der Einfluss auf die künftige Filmsprache (bis in die Werbung hinein) enorm - auch wenn diese Neue Welle ziemlich bald verebbte und ihre Protagonisten entweder im Mainstream aufgingen (Truffaut, Malle) oder sich in politisches Sektierertum flüchteten (Godard).

Inhalt: Die zwölfjährige Göre Zazie wird von ihrer Mutter für ein Wochenende bei ihrem Onkel Gabriel in Paris abgeladen. Sie hat nur einen Wunsch: einmal mit der Metro zu fahren. Dummerweise wird die U-Bahn gerade bestreikt; nichts geht mehr. Also muss Zazie anderweitig schauen, dass sie die Zeit totgeschlagen bekommt, und das schafft sie, indem sie die Erwachsenen unter anderem mit vorlauten wie ordinären Sprüchen nervt. Am Ende ist sie dann selbst so geschafft, dass sie das Ende des Streiks und ihre einzige Metro-Fahrt komplett verschläft.

Filmhistorisch bedeutsam, weil: Zazie in der Metro ist wieder einer dieser Filme, deren Inhaltsangabe nicht viel aussagt. Louis Malle hatte den seinerzeit sehr erfolgreichen Roman des Surrealisten Raymond Queneau (der auch heute noch lesenswert ist) verfilmt, was kein ganz leichtes Unterfangen ist. Denn darin ist nicht die dünne äußere Handlung das eigentliche Thema, sondern die Sprache an sich.

Queneau legte seiner Göre allerlei deftige Sprüche in den Mund, darunter Vokabeln, die vor eionem halben Jahrhundert von Zwölfjährigen Mädchen so nicht erwartet wurden. Daneben springt er munter von Stil zu Stil, turnt in allen Sprachebenen herum, ist mehr an der Musik der Worte und Sätze interessiert als an den äußeren Ereignissen, die recht banal bleiben und von karikaturistisch überzeichneten wie skurrilen Figuren bevölkert werden.

Louis Malle nahm sich vor, diese Sprache in Bilder zu übersetzen, und dies gelang ihm durch den Bruch mit beinahe sämtlichen aus dem konventionellen Kino bekannten Spielregeln. In einer Szene sitzen Zazie und ihr Onkel am Tisch und reden. Malle schneidet die Szene so, dass es den Anschein hat, als säße das Mädel sowohl links als auch rechts.

Aber Malle nutzt nicht nur den Schnitt für Verfremdungen, auch Zeitraffer und Zeitlupe, Farbspielereien und Soundeffekte kommen zum Einsatz. Als direkte Vorbilder sind die Slapstick-Meister des Stummfilms unschwer zu erkennen, auch in die verspielt-unbekümmerte Zauberkiste von Trickfilm-Pionier Georges Méliès hat Malle sicherlich einen längeren Blick geworfen.

Mit Catherine Demontgeot und Philippe Noiret konnte sich Malle auf zwei blendend aufgelegte Hauptdarsteller verlassen, die den Geist der Romanfiguren ausgezeichnet auf die Leinwand bringen. Sicher hat vieles von dem, was vor 50 Jahren erfrischend und neu wirkte, inzwischen auch ein wenig Staub angesetzt, und der eine oder andere Einfall wirkt denn doch ein wenig angestrengt. Aber das ist insgesamt unbedeutend.

Denn Zazie bleibt eines der besten Beispiele dafür, wie sich literarische Sprache in Bildsprache übertragen lässt; wie über den bloßen Inhalt hinaus der Ton einer Vorlage gewahrt bleiben kann. Man schaue sich im Vergleich dazu einmal Joseph Stricks formal entsetzlich biedere Adaption (1967) von James Joyces Ulysses an; oder auch sonst: wie steifleinen und einfallslos kommen doch etliche Verfilmungen von Literatur daher, zumal von anspruchsvoller; und erst recht vor diesem Hintergrund ist die kreative Leistung Louis Malles kaum zu überschätzen.

Abspann: Natürlich bekam der Film in Deutschland mal wieder Ärger mit der FSK. Nach Meinung der Medienhüter war die kleine Zazie wahrscheinlich nicht ausreichend Disney-kompatibel und sagte zu oft Scheiße und solches Zeug. Daraufhin musste die deutsche Synchronisation erheblich entschärft und verharmlost werden. Ja ja, wie gut, dass uns hierzulande stets jemand sagt, was gut für uns ist und was nicht!