Blackout

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Im welt.de-Forum stieß ich auf eine Buchempfehlung: Marc Elsdorf, Blackout. Hm, das könnte doch was sein, dachte ich. Amazon aufgerufen. Skeptisch wurde ich dann rasch bei: 800-Seiten-Bestseller mit 1000 Rezensionen, die meisten davon 5 Sterne. In diesem Fall lese ich erst mal die Verrisse. Falls die nur von Analphabeten stammen, okay, dann könnte es wirklich was taugen. Dort fand ich aber als Beschreibung zum Beispiel das hier (ich korrigiere einige Rechtschreibfehler und kürze sinnherstellend):

Bei den fleißigen Spitzenbeamten und im Buch sehr kompetenten Berufspolitikern fällt niemals der Strom aus, der Diesel fließt, überall halten die Motoren … aber bei den Atomkraftwerken, den niederen Nichtbeamten und der hinterhältigen Privatwirtschaft – da geht der Diesel nach 3 Tagen aus, und da verrecken die meisten Notstromaggregate. In die Niederungen der Bevölkerung begibt sich der Autor nur äußerst selten … die essen bei ihm nach ein paar Tagen schon Elefanten (!). Richtig tumbes Buch à la Mainstream-Medien wie Spiegel, SZ und den Öffentlich Rechtlichen (pöse Teaparty, pöser Kapitalismus, tolle EU). Ein spießiges, streckenweise ein richtig dummes und sehr langweiliges Buch.

Ja, genau so stelle ich mir das vor, wenn hierzulande jemand über den Blackout schreibt (okay, der Autor ist wohl Österreicher, aber er muss natürlich den deutschen Markt bedienen, wenn er Kohle verdienen will): am Ende sind wieder die Atomkraftwerke an der größten Misere schuld. Noch ein Bestseller, den ich getrost ignorieren kann.

Dabei ist das Thema – eigentlich – eine Steilvorlage. Doch es gibt Dinge, die kann man im deutschen Sprachraum einfach nicht erwarten, und dazu gehört ein anständiges Stück Spannungsliteratur.

Also, mein Ideal eines Blackout-Romans sieht so aus:

In einer Gartenlaube hocken drei furchtbar lustige Gesellen (im folgenden 3 LG abgekürzt), der Germanistikstudent Heiner (23. Semester), die Asta-Gleichstellungsbeauftragte Elfriede (37. Semester) und – als Gast – Frollein Fatima aus Kabul. Wegen der Burka ward sie noch nie gesehen, deshalb kann man auch nicht sagen, wie alt sie ist. Aber dass es eine Frau ist, kann auf Basis der Stimme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermutet werden, und sie erklärt etwa alle drei bis vier Seiten, wie wohl sie sich in diesen Klamotten fühlt, die sie natürlich freiwillig trägt. (Das ist nur ein – freilich wichtiger – Nebenhandlungsstrang; gleichwohl will ich will nicht abschweifen.)

Okay, also diese Gartenlaube ist natürlich völlig autark. Die 3 LG bauen ihr Öko-Gemüse selbst an, haben Solarpaneele auf dem Dach, ein paar schicke Windrädchen, und natürlich scheint die Sonne bei Tag und Nacht, der Wind weht immer, oft sogar mit Windstärke 5 (huch!), was als Extremwetterereignis eingestuft und dem Klimawandel angelastet wird. Der schnöden Welt mit ihrer kapitalistischen Gier und dem westlich-dekadenten Ausbeuter-Imperialismus haben die 3 LG also völlig entsagt.

So sitzen sie dann den ganzen Tag zusammen (das Biogemüse baut sich irgendwie selbst an) und diskutieren über Else Lasker-Schüler, Annette von Droste-Hülshoff, Herta Müller und andere Literaten. Das geht dann etwa 1000 bis 1200 Seiten so.

Eines Tages geht Elfriede der Lesestoff aus, und sie muss ins Antiquariat, um ein paar Gedichtbändchen abzustauben. Deshalb geht sie CO₂-neutral in die Stadt.

Dort ist alles im Arsch, denn vor vier Wochen hat es dort einen Blackout gegeben. Haben die 3 LG aber nicht mitbekommen. Hauptsache, das Antiquariat hat wieder auf. Elfriede kauft sich ein paar schmucke Raritäten, die dort seit ca 1954 rumschimmeln (bzw sie tauscht das Zeug gegen ein paar Bio-Möhren aus eigenem Anbau). Dann kehrt sie zurück.

In der Gartenlaube diskutieren nun die 3 LG noch etwa 600 bis 800 Seiten über den Blackout, wie man ihn hätte verhindern können, was Else Lasker-Schüler dazu gesagt hätte und warum natürlich die Atomindustrie hinter allem steckt.

Bei der Buchpreisverleihung würdigte die Jury die Virtuosität der intellektuellen Beiläufigkeit, mit der das schwierige Thema entfaltet wird. Und alttestamentarisch ist das, mindestens, von der Wucht her. Oder von der Unerbittlichkeit seiner Konsequenz.

Argl.