Geniestreich vom Bodensee

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Schönes Fräulein, darf ich's wagen, mein Geleit Ihr anzutragen?
Bin weder Fräulein oder schön, kann ohn' Geleit nach Hause gehn.

Die Situation:

Die Qualitätspresse berichtet über sexuelle Übergriffe in Hallenbädern:

Die Welt schreibt dazu:

Im ersten Halbjahr 2016 hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen 103 Strafanzeigen wegen Sexualdelikten in Badeanstalten aufgenommen. Bei 44 davon waren die Beschuldigten Zuwanderer.

Die Welt schreibt außerdem:

Es gibt keine Auffälligkeiten, sagt Joachim Heuser von der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, weder bei der Zahl der Taten noch bei der Beteiligung von Flüchtlingen

[…]

Veronika Wäscher-Göggerle will ihre Aktion losgelöst sehen vom Thema Flüchtlinge: Sexuelle Belästigung in Bädern hat es schon immer gegeben.

Ich bin verwirrt durch das Es gibt keine Auffälligkeiten. Also waren in NRW schon immer 40% der als Schwimmbad-Sextäter Verdächtigten Zuwanderer? Vielleicht sollten sich Joachim Heuser und die Polizei in NRW einmal treffen und ihre Zahlen abstimmen.

Der Geniestreich:

(Aufkleber mit Flügeln und Text „No”)
Der geniale Aufkleber

Es gibt also kein Problem, das heißt: es gibt schon ein Problem, nur kein neues Problem. Das Problem gab es schon immer. Sagt Veronika Wäscher-Göggerle.

Und für dieses schon lange bestehende Problem wurde jetzt ohne einen konkreten Anlass eine Lösung entwickelt. Stolze Erfinderin ist selbige Veronika Wäscher-Göggerle, ihres Zeichens Beauftragte des Bodenseekreises für alles außer Männer Frauen- und Familienfragen.

Die Lösung von Frau Veronika Wäscher-Göggerle ist so genial wie einfach: in Schwimmbädern wird ein Aufkleber mit dem Wort No denjenigen jungen Menschen zur Verfügung gestellt, die an sexuellen Avancen nicht interessiert sind.

Das war schon alles?

Ja.

Ich finde diese Lösung phä—no—me—nal!

Doch statt die Brillianz der Erfindung von Frau Veronika Wäscher-Göggerle zu würdigen, überschütten unverständige Neider die geniale Erfinderin mit Spott und Hohn:

Dabei ist die Analyse des Problems durch Frau Veronika Wäscher-Göggerle im Ansatz richtig: der Möchtegern-Casanova will wissen, ob seine sexuellen Avancen erwünscht sind oder nicht. Dies deutlich sichtbar zu markieren ist nützlich für beide Seiten: das Mädel wird davor bewahrt, andauernd Körbe verteilen zu müssen, der Gigolo-Azubi hingegen kann seine Bemühungen auf lohnende Ziele konzentrieren.

Fehler der vorgestellten Lösung:

Die Analyse — und damit die vorgeschlagene Lösung — enthält aber zwei Fehler:

(Badekleid)
…statt eines Tattoos…

Fehler 1: das Tattoo ist zu klein.

Die Suche nach einem kleinen Tattoo erfordert körperliche Nähe, und schon diese könnte als unangenehm, ja sogar als Belästigung empfunden werden.

Die Markierung muss also wesentlich deutlicher und auch aus einer größeren Entfernung sichtbar sein. Diese Anforderung kann ein Klebe-Tattoo nicht erfüllen.

Statt des leicht zu übersehenen NO-Tattoos könnte z.B. eine spezielle Badekleidung getragen werden. Spötter werden einen Ganzkörper-Badeanzug vorschlagen; das ist aber ganz und gar unnötig. Denn wie das nebenstehende Bild zeigt, es gibt Badebekleidung, die modisch und adrett ist und sich zugleich so deutlich vom Üblichen unterscheidet, dass sie auch aus der Entfernung sicher erkannt werden kann.

Fehler 2: die Prevalenz wurde ignoriert.

Es wurde nicht untersucht, welcher Anteil der Schwimmbadbesucher an sexuellen Avancen interessiert ist. Das aber ist wichtig, wenn wir den Aufwand gering halten wollen:

  • Ist die Mehrzahl interessiert, ist es sinnvoll, die nicht Interessierten zu kennzeichnen, so wie die Erfinderin Veronika Wäscher-Göggerle es vorschlägt.
  • Ist aber nur eine Minderheit interessiert, die Mehrheit dagegen uninteressiert, so ist es günstiger, die Interessierten zu kennzeichnen.

Wie aber erfahren wir, welcher Anteil der Schwimmbadbesucher an sexueller Kontaktaufnahme interessiert ist?

Die Umfrage

Ich habe die Mühe nicht gescheut und eine Umfrage durchgeführt. Dabei hab ich mich aus Kostengründen (und der Bequemlichkeit halber) auf einen Stichprobenumfang von N=10 und Personen aus meiner Umgebung beschränkt.

Irgendwelche Möchtegern-Mathematiker mögen nun einwenden, dass sowohl die Auswahlmethode als auch der Stichprobenumfang nicht zu einem repräsentiven Ergebnis führen kann. Das mag in der Theorie richtig sein, in der Praxis aber haben auch große und etablierte Meinungsforschungsinstitute eine elastische Vorstellung von Repräsentativität.

Um ein unverfälschtes Ergbnis zu erhalten, muss man die Frage so neutral wie möglich zu formulieren. Dies ist nicht einfach, auch Profis scheitern immer wieder daran (in Einzelfällen™ durch das Minnesänger-Syndrom verursacht).

Jedenfalls habe ich mir größte Mühe gegeben:

Bist Du / Sind Sie bei einem Schwimmbadbesuch an sexuellen Annäherungen interessiert?

Die Auswertung:

1. Versuch:

Rohes Umfrageergebnis:
Häufigkeit Antwort Wertung Kommentar
5 Nein nein
1 Nicht von Dir ? Befragte nimmt die Umfrage nicht ernst
1 Bei Brad Pitt sag ich nicht nein
1 Aber sonst gehts Dir gut? Androhung physischer Gewalt
1 Schleich Dich, aber ganz schnell!
1 Was fürn Zeug hast Du denn geraucht?

Puh, eine Umfrage ist schwieriger als ich angenommen hatte; ich werde mich in Zukunft mit Spott und Häme gegenüber Meinungsforschungsinstituten etwas zurückhalten.

Zur Auswertung: von N=10 Befragten sind K=5 nicht an einer Kontaktaufnahme interessiert. Ich kann also mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von kleiner als 5% nur sagen, dass weniger als 70% der Schwimmbadbesucher an einer Kontaktaufnahme interessiert sind.

Das ist Mist! Damit kann ich nichts anfangen.

2. Versuch:

Wir tilgen die albernen und die aggressiven Antworten und reduzieren so die Stichprobengröße auf N=5:

Bearbeitetes Umfrageergebnis:
Häufigkeit Antwort Wertung Kommentar
5 Nein nein

(Profis führen die Bearbeitung natürlich vor einer Veröffentlichung durch, auf dass nicht der Verdacht unsauberen Arbeitens keime.)

Auswertung: von N=5 Befragten sind K=5 nicht an einer Kontaktaufnahme interessiert. Ich kann also mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von kleiner als 5% sagen, dass weniger als 40% der Schwimmbadbesucher an einer Kontaktaufnahme interessiert sind.

Das taugt immer noch nichts.

3. Versuch:

Wir schlagen die albernen und die aggressiven Antworten der Nein-Fraktion zu und erhöhen so die Zahl der negativen Antworten auf K=10:

Noch einmal überarbeitetes Umfrageergebnis:
Häufigkeit Antwort Wertung Kommentar
5 Nein nein
1 Nicht von Dir Befragte nimmt die Umfrage nicht ernst
1 Bei Brad Pitt sag ich nicht nein
1 Aber sonst gehts Dir gut? Androhung physischer Gewalt
1 Schleich Dich, aber ganz schnell!
1 Was fürn Zeug hast Du denn geraucht?

Auswertung: von N=10 Befragten sind K=10 nicht an einer Kontaktaufnahme interessiert. Ich kann also mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von kleiner als 5% sagen, dass weniger als 25% der Schwimmbadbesucher an einer Kontaktaufnahme interessiert sind.

Das wollte ich sehn.

Das Ergebnis:

Eine repräsentative Studie zeigt:
Weniger als ein Viertel der Schwimmbadbesucher
ist an einer sexuellen Kontaktaufnahme interessiert.

(Ich empfehle, ausschließlich das Ergebnis der letzten Überarbeitung zu veröffentlichen, um … na Sie wissen schon.)

Zurück zum ursprünglichen Problem:

Die Lösung

(Badeanzug mit Text „This bod's for you”)
Lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Jetzt geht es in Windeseile zur vollständigen und endgültig ultimativen™ Lösung des Problems:

  1. Wir wollen den Gynäkologen im Praktikum lohnende Ziele zeigen und den nicht interessierten Mädels ersparen, sich unerwünschter Untersuchungen zu erwehren.
  2. Die Studie hat gezeigt, dass die Mehrheit der Mädels nicht an anatomischen Studien interessiert ist; um den Aufwand zu minimieren, werden wir die Interessierten markieren.
  3. Ein Tattoo ist zu klein, also verwenden wir zur Markierung spezielle auffällige Badebekleidung.

Die US-Amerikaner sind uns mal wieder voraus.

Das Unternehmen Wildfox produzierte dieses formschöne Modell in einer leuchtenden Farbe und mit einer Aufschrift, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.

Produzierte. Denn leider ist das Modell nicht mehr lieferbar.

Es sollte aber möglich sein, den Hersteller zu einer Neuauflage zu bewegen, am besten mit einer mehrsprachigen Beschriftung, um Missverständnissen durch mangelhafte Sprachkenntnisse vorzubeugen.

Hier ist die Beauftragte des Bodenseekreises für Frauen- und Familienfragen gefragt:

Frau Veronika Wäscher-Göggerle, übernehmen Sie!

Jetzt mal im Ernst: Wer sich an anderen Menschen vergeht, muss die volle Härte des Gesetzes spüren. Den Kriminellen ebenbürtig aber sind Deppen mit schwachsinnigen Vorschlägen und die Verharmloser, die ungeschickte Flirtversuche, zweideutige Komplimente, Tweets von Volltrotteln und dämliche Facebook-Postings mit physischen Angriffen gleichsetzen und so die physischen Angriffe verharmlosen.