Einblick in Tichy

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Das US-amerikanikanische (was auch sonst) Unternehmen Disqus betreibt ein Kommentarsystem, das auch in Deutschland oft und gerne genutzt wird, so vom liberal-konservativen Meinungsmagazin Tichys Einblick.

In selbigem Meinungsmagzin versuchte ich den Beitrag Werte Kritiker, auf ein Wort zu kommentieren.

Versuchte. Der Kommentar wurde nicht veröffentlicht.

Nun lege ich vor jedem Absenden eine Kopie meines Textes für eine mögliche spätere Verwendung ab (ein Hoch auf den Erfinder der Zwischenablage!), der Kommentar hätte so ausgeschaut (URLs mit Links hinterlegt, sonst unverändert):

Nahmd,

ein Beispiel, wie man weder voreingenommen noch langweilig neutral abgehoben über Trump berichten kann, gibt Fred Reed:

10.11. Nach der Wahl: froh, dass Trump gewonnen hat, aber skeptisch bzgl. des Machbaren: https://fredoneverything.org/ok-now-what-the-party-is-over-cometh-the-hangover/

24.11. Analyse der Fehler der Demokraten, die zur Wahl von T geführt haben: https://fredoneverything.org/uniquely-talented-only-the-democrats-could-have-lost-to-trump/

05.01. Rant gegen die (man kann wohl sagen: Mainstream-)Presse, die sich an der Grabsch-Affäre hochgezogen hat: https://fredoneverything.org/trump-to-build-death-camps-for-trans-gendered-people-of-color-will-deport-all-woman/

02.02. Überaus kritische Analyse der bisherigen Entscheidungen von Trump: https://fredoneverything.org/many-storms-gathering-reflections-on-trump/

(leider alles englisch)

Licht und Schatten, pointiert und gleichzeitig fair. Lesenwert sowohl für Fans von Trump wie auch für negative und positive Kritiker. So wünsche ich mir Journalismus und finde es traurig, dass man auf fremdsprachige Webseiten zurückgreifen muss, um ihn zu bekommen.

Allerdings hat FR auch einen unfairen Vorteil: Lebenserfahrung *außerhalb* von Redaktionsstuben – was man von vielen, wenn nicht den meisten, Journalisten nicht sagen kann.

Diese Lebenserfahrung führt zu einer, sagen wir mal “Autorität”, die dazu führt, dass man auch Beiträge zu Ende liest, deren Inhalt man – zumindest anfangs – ablehnt und eben nicht nach zwei Absätzen aufhört zu lesen. Man weiß, dass wenn man nicht mit der Meinung übereinstimmt, es sich lohnt, über den Grund dafür nachzudenken.

Im Gegensatz dazu treten in DE, jedenfalls empfinde ich so, viele Journalisten als Lehrer auf: als Wissende (“Er hat aufgehört zu lernen: Er weiß.”) dem Leser überlegen. Abweichende Meinungen können nur falsch sein.

Das sehe ich nicht nur bei den großen Medien, besonders den ÖRs und den saturierten Abonnements-Zeitschriften, das sehe ich auch bei den neuen und alternativen™, auch hier bei Tichy: Kommentare der Autoren zu Leserzuschriften sind (soweit ich sie gesehen habe) kurze und patzige Abkanzelungen von oben herab: falsch, setzen, sechs. Oneway-Journalismus. Dass das zu patzigen Beiträgen der Leser führt, wundert mich nicht.

Die wirklich Aufnahme einer Lesermeinung, eine Korrektur der eigenen Ansicht (“Ich habe falsch gelegen, danke für den Hinweis!”) habe ich noch bei keinem Journalisten jemals bemerkt.

Ein Gegenbeispiel würde mich erfreuen.

[Ich hoffe mal, dass die vier Links nicht zur Ablehung führen.]

Ja, frech, ich weiß. Jemanden vorstellen, der es meiner Meinung nach besser macht, das ist unverschämt, ja. Doch dieser ist nicht wirklich Konkurrenz, denn er schreibt englisch. Eine Gegenüberstellung als Basis für eine Gespräch, das den Namen verdient, das auf realen Grundlagen beruht statt auf Geschwafel, so war das gedacht. Aber Pustekuchen.

Nun steht es jedem Webseiten-Betreiber frei, Beiträge freizuschalten, redigiert freizuschalten oder zu verwerfen. Das ist sein Recht, bei offensichtlich strafrechtlich relevanten Beiträgen seine Pflicht. Wer bei einer Ablehnung eines Beitrags Zensur schreit, dem empfehle ich die Lektüre unseres deutschen Grundgesetzes.

Aber.

Eine Ablehnung sagt etwas aus über den Ablehner. Das Schöne bei Disqus für den Schreiber ist, dass ein abgelehnter Text nicht einfach im Orkus verschwindet: der Verfasser kann ihn bei Disqus in dem Zustand einsehen, in den der Foren-Redakteur ihn redigiert hat. Das schaut in diesem Fall so aus (man beachte das removed):

(Screenshot)

Im ersten Schritt wurden die Verweise entfernt und der Hinweis darauf, dass es einmal vier Verweise gegeben hat, damit also der folgende Text seiner Basis beraubt. Die Auslassungen wurden mit versehen statt mit dem üblichen […] gekennzeichnet. Sodann der ganze Beitrag removed. Schade.

Was passiert, wenn die Leser von Journalisten lernen,
Journalisten aber niemals von ihren Lesern?
Korrekt: Der Vorsprung der Leser wächst.

PS: Mein Wunsch nach nach einem Beispiel dafür, dass ein Journalist von einem Leser gelernt hat, bleibt bestehen.