Wortneuschöpfungen (2)

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Zu meinem Beitrag Wortneuschöpfungen bekam ich eine Zuschrift, die ich hier kommentieren möchte.

Vorab: ich will niemanden bloßstellen, ich kenne den Autor als einen integeren und vernünftigen Menschen. Der Inhalt der Zuschrift erscheint mir aber symptomatisch für das, was in unserer Gesellschaft gerade schief läuft.

Ich zitiere nur drei kurze Abschnitte, um die Anonymität zu wahren.

Schlaufon

Zitat 1:
[…] oder sogar Ausdrücke zu verwenden, die explizit Wortschöpfungen der Nazi-Szene sind (etwa Schlaufon).

Ich stell mir das gerade bildlich vor: da sitzt einer mit Oliver-Hardy-Bart am Schreibtisch, die Hakenkreuzfahne an der Wand, und versucht wortzuschöpfen. Er schöpft und schöpft und trotz Erschöpfung schöpft er weiter, der Kopf qualmt vor schöpferischer Anstrengung, und dann endlich:

Schlaufon

Da reckt sich der Arm da geht ihm einer ab. Das unter's Volk (sic!) gebracht, und schon ist der Nazivirus ausgestreut.

Was für ein Blödsinn!

Das mag jetzt etwas zusammenhanglos erschien, fügt sich aber hoffentlich nach den drei Punkten zusammen:

  1. Um die Jahrtausendwende gabs im Netz die (spielerische) Auseinandersetzung zwischen den Redlichen und den Unredlichen. (Der Eintrag bei Wikipedia in der Rubrik Netzfolklore wurde leider wegen mangelnder Relevanz gelöscht.) Meine Phantasiefigut hat auf Seite der Redlichen teilgenommen. Kennzeichen der Redlichen ist u.a. ein vollständiger Verzicht auf Wörter aus anderen Sprachen, auch (und gerade) durch Verwendung von absurden deutschen Wortkonstrukten. Übrigens eine gute Übung für den Umgang mit Sprache.

  2. Ich hab vor zwei Jahrzehnten Wolf Schneiders Deutsch für Profis geschenkt bekommen. Und auch mehrfach gelesen. Das führt zwar nicht dazu, dass man schreiben kann, es öffnet aber die Augen für Sprache und den Umgang damit. Und wie albern es ist, zwanghaft (meist) englische Ausdrücke zu benutzen, wenn es knackige deutsche Entsprechungen gibt
  3. Das Wort Leistungsmerkmal als Übersetzung von Feature habe ich zum ersten Mal in Datenblättern von Siemens gelesen (ich glaube, es waren ISDN-Controller). Ich fand es urkomisch, bis ich versucht habe, eine kürzere, aber genau so präzise Übersetzung zu finden: Es gibt keine. Will man deutsche Wörter benutzen, wird der Text in vielen Fällen länger.

Wenn ich also deutsche Wortneuschöpfungen benutze, dann

  • in alberner Weise in Tradition von (1), oder
  • in ernsthafter Weise als Folge von (2), und das
  • mit der Begrenzung durch (3).

Und wenn ich (im passenden Umfeld) unerwartetes Leistungsmerkmal schreibe (obwohl Bug kürzer ist), dann in der Hoffnung, dass dem intelligenten Leser ein Grinsen ins Gesicht springt, weil er sich mein Gesicht vorstellen kann beim Auftreten des Unerwarteten.

Ob irgendein Möchtegern-Nazi mal das Wort Schlaufon benutzt hat, weiß ich nicht, und es ist mir auch egal: ich lasse mir nicht von Idioten meine Sprache vorschreiben. Fon war einmal megahipp™ auf Visitenkarten von Kreativen™, weil es ebenso lang ist wie Fax. Schlaufon drängt sich geradezu auf als wörtliche Übersetzung, und ich benutze es für Situationen, in denen das Schlaufon schlauer ist als sein Halter.

Mir geht diese Abgrenzeritis ohnehin auf den Geist. Ich benutze Klopapier. Auch Hitler hat Klopapier benutzt. So what?

Selektion vs. Auswahl

Zitat 2:
selektieren - das ist das, was die Hiltler-Schergen im KZ an der Rampe gemacht haben

Ob das Arschloch selektiert oder ob es auswählt, ist für den Betroffenen unerheblich, da gleich tödlich. Wie formulierte Johannes Gross so schön:

Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso mehr nimmt der Widerstand gegen Hitler und die Seinen zu.

Politisch korrekte Sprache ist kein Kampf gegen was auch immer. Denn Kampf ist gefährlich.

Politisch korrekte Sprache ist die kosten- und gefahrlose Möglichkeit, als Mitläufer soziale Fleißkärtchen zu sammeln.

Diskriminierung

Viel interessanter finde ich Diskriminierung. Was Unterscheidung heißt und daraus folgend Auswahl. Am Donnerstag noch habe ich diskriminiert. Und zwar bin ich in den ALDI gegangen statt in den REWE daneben.

Vor ein paar Jahren haben wir ganz übel diskriminiert: wir brauchten für ein Projekt einen Werkstudenten, drei haben sich beworben, einen haben wir ausgewählt. Also die beiden anderen diskriminiert. Wir haben den Besten genommen. Das war Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten und damit Ableismus.

Was die Sache so furchtbar macht: es war ein Schwarzer unter den Dreien. Damit war unsere Diskriminierung sogleich übelster Rassismus. Das hätte leicht dazu führen können, dass uns von politisch korrekten Menschen die Bude abgefackelt wird. Facebook-Shitstorm. Und schlimmeres.

Was uns gerettet hat: der Schwarze war zugleich der Beste der drei. Puh!

Politisch korrekte Sprache

Zitat 3:
Manchmal denke ich, dass sie [die politisch korrekte Sprache] angesichts der politischen Entwicklung, der Dummheit und Ignoranz immer größerer Teile der Bevölkerung gar nicht wichtig genug genommen werden kann.

Also Erziehung der dummen und ignoranten Bürger durch Sprachkontrolle. Der Autor selbst sieht sich wohl frei von Dummheit und Ignoranz und hat sicher eine zulässige politische Einstellung.

Die Folgen

  • Wir haben bereits wieder eine SA (nennt sich heute Antifa), die Häuser beschmiert, Autos anzündet und Menschen verprügelt;
  • Wir haben bereits wieder Bücherverbrennung (öffentlich schreddern);
  • Wir haben bereits wieder Deutsche kauft nicht / werbt nicht bei ...;
  • Wir haben bereits wieder die (ungestrafte!) Entmenschlichung von Menschen mit einer Behinderung als lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur, die von Andersdenkenden als Brandstiftern, Idioten und Pack, und das nicht durch den Mob, sondern durch die (haha!) Eliten. Wegen der Tötungshemmung gegenüber Menschen ist die Entmenschlichung des Gegners Voraussetzung für den nächsten Schritt Verbrennen.

Und eine Bundesschrifttumskammer wird gerade eingerichtet.

Was höre ich da aber heute trifft es die Richtigen?

Nein. Damals waren die Mitglieder einer friedlichen religiösen Minderheit das Ziel, heute sind es die Anhänger und Mitglieder von Parteien oder Denkrichtungen, deren Themen und Ziele etwa der CDU der 80er entsprechen. (Wird gerade ausgedehnt auf alles, was den Merkel-Kurs ablehnt.)

Die einen so unschuldig wie die anderen. (Damit das nicht vorsätzlich falsch interpretiert wird: ich war nie und bin nicht parteipolitisch aktiv.)

Mir war bereits in der Schule im Geschichtsunterricht klar, dass der Faschismus wiederkommt (war aber schlau genug, das nicht zu äußern): faschistoide Strukturen sind einfach zu verlockend für all die geistigen Kleingärtner, die als Mitläufer einer großen™ Sache sich selbst auch einmal groß fühlen können: Wollt ihr die totale politische Korrektheit, die totale Diversifizierung, totale Staatsquote, totale Grenzenlosigkeit, totale Gleichschaltung? JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!! [ogg, webm].

Ich habe aber nicht erwartet, das noch zu erleben.