Allzu intelligent, quasi blöd

Quelle: Die Zeit, Freitag, 04 Juli 1986

Umberto Eco: Streichholzbriefe

Künstliche Intelligenz ist eine Wissenschaft, die erforscht, wie ein Computer dazu gebracht werden kann, die Prozesse der menschlichen Intelligenz zu simulieren. Füttert man den Computer zum Beispiel mit folgenden Regeln: a) Josef und Maria sind Personen, b) Äpfel sind Gegenstände, c) der Akt des Verkaufens ist der Transfer eine Gegenstandes von einer Person, die ihn besitzt, zu einer anderen, die ihn zuvor nicht besitzt und die im Tausch dafür Geld transferiert, so müsste er, wenn man ihm sagt: Josef verkauft Maria Äpfel, den Schluss ziehen können, dass Maria von Joseph Äpfel erhalten und ihm dafür Geld gegeben hat und dass Joseph zuvor Äpfel besaß und nun Geld besitzt, während Maria zuvor Geld besaß und nun Äpfel besitzt. Um wirklich intelligent zu sein, müsste der Computer freilich auch Fehler mit einkalkulieren, die Regeln ändern und neue erfinden können.

Roger Schank, Direktor der Abteilung Computer Sciences in Yale, hat ein sehr lesbares und unterhaltsames Buch publiziert (The Cognitive Computer), in dem er seine Erfahrungen schildert und unter anderem auch eine amüsante Geschichte erzählt, die unter Branchenkennern bereits bekannt war. Es handelt sich um das sogenannte Tale-Spin-Programm von 1976, das den Computer befähigen sollte, Tierfabeln zu erfinden, indem es ihn mit Beschreibungen von diversen Personen, Handlungen und Verhältnissen zwischen den Handlungen fütterte. Von Anfang an lief nicht alles glatt, denn der Computer schrieb zunächst folgende Geschichte:

Eines Tages war Joe-der-Bär hungrig. Er fragte den Vogel Irwing, wo Honig zu finden sei, und Irwing sagt ihm, in der alten Eiche gebe es einen Bienenstock. Da ergrimmte Joe und drohte, Irving zu verprügeln, wenn er ihm nicht sagt, wo es Honig gebe.

Der Fehler lag darin, dass Irving eine Regel hatte, die ihm sagte: wenn Honig, dann Bienenstock, während Joe keine Regel hatte, die ihm sagte: wenn Bienenstock, dann Honig. Daher sein Grimm. Daher wurde das Programm korrigiert, aber unzureichend, denn in der nächsten Geschichte ging Joe zur Eiche und fraß den Bienenstock.

Später fragt Joe den Vogel Irwing, wo es Honig gibt, und Irving will es ihm nicht verraten. Joe hat jetzt eine Regel, die ihm sagt, wenn man etwas von einem anderen etwas haben will und dieser will es einem nicht geben, muss man entweder verhandeln, indem man etwas zum Tausch anbieten, oder den Gegner überlisten. Joe verspricht Irwing einen Wurm, wenn Irwing ihm dafür sagt, wo es Honig gibt. Irwing geht auf den Handel ein, Joe macht sich auf die Suche nach einem Wurm, kann aber keinen finden, kehrt zurück und fragt Irwing, wo es Würmer zu finden gibt. Irving will es ihm nicht verraten. Joe, seiner Regel eingedenk,bietet ihm einen Wurm für die Auskunft, wo es Würmer zu finden gibt. Irwing geht auf den Handel ein. Joe macht sich auf die Suche nach einem Wurm und findet keinen. Da kehrt er zu Irving zurück und fragt ihn, wo es Würmer zu finden gibt …

Natürlich war das Programm in eine Schleife geraten, um man sah sich genötigt, dem Computer zu sagen: Wer ein Ziel verfolgt und es nicht erreichen kann, darf es nicht ein zweites Mal verfolgen, sondern muss ein anderes Ziel ins Auge fassen, oder er wird krank. Außerdem wurde festgelegt: Wer Nahrung sieht, muss sie begehren.

So kam man zu dieser Geschichte:

Der Rabe Henry sitzt auf einem Ast mit einem Stück Käse im Schnabel. Der Fuchs Bill sieht den Käse und begehrt ihn. Er beschließt, den Gegner zu überlisten und fordert ihn auf zu singen. Der Rabe öffnet den Schnabel, und der Käse fällt auf den Boden. Da wird der Fuchs krank.

Warum? Weil er das Ziel verfolgt hatte, seinen Hunger auf den Käse zu stillen, zu welchem Zweck er den Raben dazu gebracht hatte, den begehrten Käse fallen zu lassen. Nun sieht er den Käse auf dem Boden und begehrt ihn erneut, weiß aber, dass er nicht zweimal dasselbe Ziel verfolgen darf, und gerät in eine Krise.

Der Rabe sieht gleichfalls den Käse und begehrt ihn. Um ihn zu bekommen, müsste er ihn von seinem Besitzer ergattern. Doch sein Besitzer ist er selbst, und eine seiner Regel sagt ihm, dass niemand sich selbst überlisten kann. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Käse von sich selbst zu erbitten. Aber natürlich will er ihn nicht sich selbst überlassen. Da beschließt er sich selbst den Käse im Tausch gegen einen Wurm zu überlassen. Er macht sich auf die Suche nach einem Wurm, weiß aber nicht, wo er einen finden kann, kehrt zurück zu sich selbst und fragt sich, ob er weiß, wo Würmer zu finden sind. Doch er weiß es nicht und antwortet sich daher, er könne es sich nicht sagen. Da beschließt er, sich selbst einen Wurm anzubieten, wenn er sich dafür sagt, wo Würmer zu finden sind …

Der Leser hat begriffen, dass die Geschichte in eine neue Schleife geraten ist und endlos so weitergehen könnte.

Natürlich erlaubten weitere Korrekturen dem Computer, eine richtige Fabel zu erzählen. Nur war es dann dummerweise genau die von Äsop. Was ich sehr bedaure, denn die kannten wir schon, während mir die Geschichte vom Raben Henry mit seiner gebrochenen und gespalteten Identität viel interessanter erschien. Borges oder Lacan hätten den Computer ermuntert, sich weiter im Labyrinth seiner Selbstwidersprüche zu verstricken. Oder sie hätten ihn gelehrt, dass, wenn eine Geschichte zu normal wird, ein (kybernetischer) Wurm in ihr Regelwerk eingeführt werden muss: denn künstliche Intelligenz wird der menschlichen sehr viel ähnlicher, wenn sie das Problem des begehrens nicht zu lösen vermag. Freilich ist es nicht leicht, einen vollkommen neurotischen Computer zu konstruieren.

Aus dem Französischen übersetzt von Burkhart Kroeber.
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