Der epochemachende Schritt in die horizontale und vertikale Hierarchie

Erinnerungen an das Büro der Zukunft:
Stil war, ist und bleibt immer noch alles

Quelle: Handelsblatt, Dienstag, 27. 3. 1984

Dem unvergessenen Wirtschaftsphänomenalisten Prof. Hermann von Gleichen-Holzwurm (Erlangen/New York) ist zu danken. Zu danken für sein letztes, großes Werk, soeben erschienen in der Edition Bureaux Antiques: Die histologische Ästhetik terminalisierter Arbeitsräume auf die Funktionsträger. Nicht nur, dass von Gleichen-Holzwurm damit die rasante Entwicklung von Umgangs-Stilelementen in Büros alter Prägung bis heute der Vergessenheit entriss - er konnte auch noch kurz vor seinem Tode das Unternehmen lokalisieren, mit dem einst alles begonnen hatte.

So muss die Jules Kaiser KGaG heute als Prototyp definiert werden, mit dem der Stil im Büro zu seiner heutigen Größe wuchs. Auf die frühe Geschichte der Firma muss nicht eingegangen werden: hier ist zu verweisen auf den Ökonomie-Publizisten B. Brecht-Ulm (der allerdings den Namen des Gründers offensichtlich phonetisch falsch interpretierte).
Von Gleichen-Holzwurms Untersuchung setzt vielmehr da ein, wo das Unternehmen längst vom Immobilienhandel auf Diversifikation umgeschaltet hatte (interdisziplinäre Produktionsoffensive II) und die vierte Rationalisierungsphase absolviert hatte.

In der Aministration lief aber auch gar nichts.

Es war die Zeit, da Jules Kaiser jr. IV von der Management-Akademie Phoenix/Arizona zurückkehrte. Die Produkte liefen gut (Jules Kaiser hatte die gesamte Produktpalette inzwischen Jukai getauft, das klang nicht nur schön japanisch, es verlieh ihnen auch einen preiswerten Touch) — dennoch wusste Jules Kaiser, dass etwas nicht lief. Und das waren Administration, Einkauf, Verkauf, Marketing, Buchhaltung — kurz alles, was damals Büro genannt wurde.

Zwar hatten die Bildschirmterminals längst die Schreibtische abgelöst (wie erinnerlich für die Älteren, waren das Produkte aus sterbenden Wäldern, roh zusammengehauen und mit Fächern für Papier, wie es noch im Albert-Victoria-Museum in London zu besichtigen ist, sowie Alkoholika versehen), aber trotz der anheimelnd grün flimmernden Bildschirme entdeckte Jules Kaiser jr. IV noch Relikte aus jener Zeit, vorwiegend menschliche.

Der Umgangston der Manager war zu vertraulich.

Da liefen in der Produktionserfassung Typen herum, die veranstalteten gemeinsame Tototips. Da raunten auf den Fluren Frauen von Mode und Mesalliancen, da hingen Kalender, sprossen Blumen, und da hatte die Führungsmannschaft einen so vertraulichen Ton zu Mitarbeitern, dass Jules Kaiser übel wurde von dem Büromief. Nicht einmal die dritte Generation der µComps hatte das vertreiben können.

Jules Kaiser erinnerte sich der ausgeprägten Gabe seiner Vorfahren, zwei Dinge auf einmal tun zu können (der Firmengründer konnte einen Fluss überschreiten und dabei noch würfeln — woraus übrigens der Produkt-Hit Rubicons Cube entstand), und so tat Jules Kaiser auch zwei Dinge auf einmal: Er feuerte die ganze Führungsmannschaft zugunsten einer neuen akademischen, und er neubaute ein Administration Center, um die äußeren Strukturen optimal zu machen. Zu letzterem Zweck überschritt auch Jules Kaiser einen Strom: er zog von einer rheinischen Metropole in ein idyllisches Dorf namens Grimlinghausen, wo Autobahnauf- und abfahrten weich in den Himmel ragen.

Wichtigste Abteilung in diesem Hause wurde die neue Stabsabteilung Perspol, also Personalpolitik. Mit deren Personalstrategie wurde eine vertikale und horizontale Hierarchie entworfen, die die einzelnen Büros, die jetzt Terminals hießen, optimieren sollte.

Damit hatte, so jedenfalls von Gleichen-Holzwurm, der Unternehmenschef den Schritt zum neuen Stil im Büro (Verzeihung, im Terminale) getan. Alles gewann eine neue Qualität: die hässlichen Blumen auf den Fensterbänken verschwanden, weil es keine Fensterbänke mehr gab, die Totogemeinschaft im audiovisuellen Versand existierte im Untergrund, und die Mitarbeiterinnen an den Bildschirmen verwandelten sich durch natürlichen Abgang (selbstredend wurde niemand betriebsbedingt gekündigt) in asexuelle Wesen.

Die Herren aus der Hierarchie aber rolexten lacostebehemdet durch die Terminale I bis XIII, die hochgereckten Kinne fest in der eigenen Führungsqualität verankert: sie hatten weder Ahnung von Toto noch von Tottenham Hotspur, noch minimierten sie durch normales Deutsch ihre eigene Akzeptanzschwelle. Vertikale Gespräche in der Führungshierarchie — wenn Mitarbeiter zugegen waren — drehten sich gedämpft um die neue Zehner-Serie von BMW oder um den Barman X aus der Y-Bar in Lower Manhattan.

Für offizielle Gespräche hatte die Stabsabteilung Perspol den Wortschatz allerdings streng gestrafft (hier unterlief von Gleichen-Holzwurm übrigens ein kleiner chronologischer Fehler, denn die Mitarbeiter wurden schon längst nicht mehr so genannt, sie hießen zu der Zeit schon Funktionsträger). Perspol beschulte also die Hierarchie mit der Kommunikationsbegrenzung:

Aus den Mitarbeitern wurden Funktionsträger

  1. definieren, objektivieren, minimieren, optimieren, positionieren,
  2. restriktiv, horizontal, vertikal, strukturell,
  3. Akzeptanz, Wertigkeit (für das veraltete Stellenwert), Hierarchie, Vernetzung (auch Kommunikation war schon out), Flexibilität.

Zusätzlich zugelassen war effizient, dies durfte jedoch nur in höherem Sinne benutzt werden — schließlich war diese Strategie der effizienten Begriffe nur wegen der Effizienz in den Terminalen erfunden worden und durfte nicht strapaziert werden.

Natürlich gab es, zumal in den unteren Funktionen der Hierarchie und bei den einfachen Funktionsträgern, strukturelle Crash-Situationen. Einige, die das System der Effektivierung nicht begriffen, wollten ihren Funktionsträgerplatz nicht verlassen, andere ahmten die neue Perspol-Sprache autonom und in geradezu widerwärtiger Weise (Zitat von Gleichen-Holzwurm) nach.

Etwa so: Müller definiert Vernetzung leider horizontal und minimiert damit strukturell seine Wertigkeit. Das war übrigens reines Anschwärzen. Es bedeutete: der Anmacher Müller sackt ab.

Wurde das von der Stabsabteilung Perspol noch hingenommen, weil Müller dadurch gefeuert werden konnte, so war ein anderer Satz schon rein destruktiv: Die minimierte Akzeptanz der vertikalen Hierarchie ist restriktiv. Freie Übersetzung von Gleichen-Holzwurm: In diesem Scheißladen hat keiner mehr Lust. Traf über diesen Satz den Unternehmenschef Jules Kaiser jr. IV auch der Schlag (danach überquerte er zum letzten Mal den Rhein, diesmal ganz unfunktionell), so räumte die Stabsabteilung Perspol jedoch auch mit denen auf, die immer noch nicht das funktionelle Positionieren der Effizienz für sich optimal definiert hatten.

So kam es, dass das Administration Center von Jukai überhaupt so effizient wurde, dass der Input in den Terminalen den Output in der Produktion übertraf, und dass in den Terminalen nur noch die neue Generation der Hierarchie und der Funktionsträger walteten — unfähig, aber großmäulig (leider wird nicht klar, was von Gleichen-Holzwurm damit definieren wollte).

Der neue Stil in den Terminalen von Jukai indes setzte sich befruchtend bei allen Konkurrenten fort. Denn es traf sich, dass sich hier alle die altertümlichen Relikte an Menschen trafen, die einst bei Jukai den Landen geschmissen hatten (unklarer Terminus bei von Gleichen-Holzwurm). Inzwischen hatte Jukai — wiederum wegweisend — die Produktion von Gütern ganz eingestellt, der Betrieb funktionierte als Selbstläufer, und zwar durch den Verkauf von Knowhow, das sich die Hierarchie inzwischen erworben hatte. Allerdings wurde der Markt später eng für Jukai, denn die belieferten Firmen entwickelten sich ähnlich.

Ein Schönheitsfehler war nur (so beschreibt es jedenfalls von Gleichen-Holzwurm), dass noch später auch noch die allerletzte produzierende Firma auseinanderfiel. Das war das Unternehmen, das von der ehemaligen Kernmannschaft von Jules Kaiser gegründet worden war — also die mit ihrer Totogemeinschaft. Diese Firma wurde gelöscht, weil die Jungs endlich zweimal hintereinander drei Millionen im Toto gewonnen hatten. Damit sind wir beim Kernsatz der histologischen Ästhetik terminalisierter Arbeitsplätze des Hermann von Gleichen-Holzwurm. Er lautet: Geld verdirbt den Charakter.