Über 40

Geschrieben von im Jahr .

Jetzt geht sie zu Ende: die staade Zeit in der IT-Branche. Morgen beginnt mit der IFA wieder die Messesaison.

Für die Konjunktur sind derartige Veranstaltungen ja gut. Noch besser ist, wenn man nicht hin muß - nach Berlin, zur IFA.

Es ist keine schöne Messe. Dort werden keine Server gezeigt.

Server - vor allem Mainframes und die großen Risc-Rechner - sind Ruhepole im aufgeregten Schwarm digitaler Eintagsfliegen. Keine Massenware im bunten Plastikgehäuse. Vielmehr richtige Maschinen, die richtiges Geld kosten.

Noch wichtiger sind die Menschen, die einem die Fragen zu diesen Maschinen beantworten. Es sind weise, alte Männer - also meistens über 40.

Sie wissen, wovon sie reden. Tun das unaufgeregt. Und sprechen auffällig viel deutsch. Manchmal sind es auch Amerikaner. Die sprechen dann englisch. Das ist ebenfalls in Ordnung. Aber keiner benutzt Mode- und Marketing-Anglizismen. Wer Wichtiges sagt, muß nicht wichtig tun.

Trotzdem hat diese Generation der alten, weisen Männer ein Arbeitsmarktproblem. Das zeigt ja auch die in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage von silicon.de.

Seine Kollegen über 40 stammten aus der Mainframe-Zeit und sind in der heutigen IT-Welt ziemlich orientierungslos, wird darin einer der befragten ITler zitiert - offenkundig ein jüngerer.

Dieser Youngster! Lediglich die gebotene Zurückhaltung gegenüber einem Leser hält den Autor davon ab, eine adäquatere Bezeichnung zu wählen. Nachdem er sich inzwischen aber wieder einigermaßen beruhigt hat, ist er weniger über den fehlenden Respekt als über das mangelhafte Wissen erschüttert. Was glaubt der Junge eigentlich, was für eine Maschine dahinter steckt, wenn er sich am Samstag für die Disco Geld aus dem Automaten holt?

Aber es stimmt schon. Die Arbeitsmarktprobleme eines über 40-jährigen Computerexperten liegen oft in dessen Person begründet. Dabei geht es weniger darum, dass er vielleicht irgendwas nicht mehr machen kann. Man kann umgekehrt nicht mehr alles mit ihm machen. Das wird den meisten zum Verhängnis.

Mao Tse Tung beispielsweise setzte auch nicht auf seine alten Kampfgefährten, als er das moderne Mobbing[¹] erfand. Sowas macht man am besten mit unreifen Heranwachsenden, deren Begeisterungsfähigkeit noch nicht durch Wissen und Reflexionsfähigkeit gebremst wird. Mao stellte deshalb seine Roten Garden auch aus Halbwüchsigen zusammen. Nur die sind am ehesten bereit, vorbehaltlos im Kollektiv aufzugehen.

Und was im realen Sozialismus das Kollektiv, das ist in der marktwirtschaftlichen Realität das Team. Dabei gilt die Regel: Je trister die Wirklichkeit, desto lauter wird der Gemeinsinn beschworen. Es sind immer die fröhlichsten Teams, die die lausigsten Jobs erledigen müssen.

Selbstverständlich gibt es heute nicht mehr die Ballonmützen und die graugrünen Uniformen wie zu Zeiten des Großen Vorsitzenden. Die Uniformität der modernen Corporate Identity läßt sich ja auch in sehr viel gefälligere Designs gießen.

Und die Messehostessen sehen ja auch immer sehr adrett aus in ihren CI-Uniform-Röckchen. Die sind sehr viel hübscher anzuschauen als seinerzeit die Mao-Mädchen in Blau.

Aber wenn einer der Unternehmens-Armisten den Mund aufmacht, dann ist die ganze Illusion dahin. Wenn jemand entgegen aller grammatikalischen Regeln etwas im Transitiv kommuniziert, dann klingt das auch nicht anders als früher der Agitprop der kommunistischen Parteisoldaten.

Sowas kann man mit gereiften Menschen natürlich nicht machen. Die kämen sich dabei komisch vor. Das würde man ihnen auch anmerken. Und dann würden sie noch alberner wirken als die Jungen mit dem begeisterten CI-Flackern im Blick.

Und noch viele andere derartige betriebliche Notwendigkeiten gibt es, die mit Alten einfach nicht gehen. Wer über 40 ist, der ist vielleicht gebrochen - wenn es dumm gelaufen ist. Aber verbiegen läßt er sich nicht mehr.

Oder um das Ganze aus Unternehmenssicht zu formulieren: Er ist nicht mehr formbar. Später kann man sogar sagen: Er ist unflexibel. Und dann bekommt er sehr schnell sein Arbeitsmarktproblem.

Da ist er dann einerseits selbst dran schuld. Andererseits ist das einfach so: fast überall, wo man Uniform trägt, wird man ausgemustert, wenn man um die 40 ist[²]. Denn zu geistiger Uniformität ist man dann meistens nicht mehr in der Lage.

Die Server nun sind quasi die Dorflinden der IT-Messen. In ihrem Schatten treffen sich die übriggebliebenen und seltsam gewordenen alten Männer und sprechen über Cache-Kohärenz, massiv-parallele Architekturen, Shared-Memory-Ansätze und Ausfallsicherheit.

Und um sie herum herrscht helle Aufregung, wird Promotion betrieben und Action gemacht. Aber die alten Männer läßt das völlig unbeeindruckt. Sie sind halt schon wirklich nicht mehr von dieser Welt.

(von Achim Killer)