Auf DVD: Lohn der Angst (Le salaire de la peur)
Abenteuer, Frankreich/Italien 1953, Regie: Henri-Georges Clouzot, mit Yves Montand, Charles Vanel, Peter Van Eyck, Folco Lulli, Véra Clouzot
Inhalt: In einem lausigen Kaff in Venezuela sind alle möglichen gescheiterten Existenzen gelandet. Sie halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und lungern ansonsten in der örtlichen Kaschemme herum. Als 500 Kilometer weiter eine Ölquelle in Brand gerät, soll das Großfeuer mit Nitroglyzerin gesprengt werden. Der örtliche Chef der Ölgesellschaft sucht vier Wahnsinnige, die das hochexplosive Zeug mit zwei Lastwagen transportieren, und zwar über eine Fahrbahn, die beim ADAC als Stoßdämpferprüfstrecke Anklang fände. Der abgebrannte Mario (Montand) und drei andere lassen sich für 2000 Dollar pro Nase darauf ein. Die Fahrt wird zum Horrortrip; schon bald liegen die Nerven blank.
Filmhistorisch bedeutsam, weil: Eine der Legenden, die sich im allgemeinen Bewusstsein
hartnäckig halten, ist die Behauptung, dass ein Buch ja immer besser sei als seine Verfilmung.
Gerade französische Filmemacher haben oft das Gegenteil bewiesen. Die Romanvorlagen zu den
bereits vorgestellten Filmen
Z
und
Schießen Sie auf den Pianisten
sind heute weitgehend unbekannt, während die Filme Klassikerstatus genießen (um nur zwei
Beispiele zu nennen).
Das gilt auch und ganz besonders für Lohn der Angst
. An Georges Arnaud,
der die Geschichte immerhin erfunden hat, erinnert sich kein Schwein,
und das
Buch
ist seit längerem nicht neu aufgelegt worden. (Ich habe es vor vielen Jahren einmal angefangen
zu lesen und es hat mich weder stilistisch noch sonstwie gefesselt.) Doch Regisseur
Georges-Henri Clouzot erkannte das ungeheure Potenzial des Stoffes und machte daraus einen
packenden Thriller, der auch (zeitgemäß modisch) als existentialistische Parabel angelegt ist.
Wohin die Reise geht, wird symbolisch schon in der ersten Einstellung klar:
Da spielt ein barärschiges Kind gedankenlos mit aneinandergefesselten Insekten,
die keine Chance haben, ihrem trüben Schicksal zu entgehen. Die pessimistische Perspektive von
Clouzots Lohn der Angst
ist grundverschieden von der des heutigen Abenteuer- und
Action-Kinos, wo der Held angesichts allerhöchster Gefahr immer noch Zeit für einen blöden
Spruch findet und nur vor einer Sache wirklich Angst hat: dass er eine Sekunde lang nicht
cool aussehen und seinen Teen-Appeal verlieren könnte.
Clouzot lässt es in seinem Zweieinhalbstundenfilm zunächst recht langsam angehen. In der großzügigen Exposition wird mit präzisem Strich die lähmende Atmosphäre in dem stickigen Kaff beschrieben. Die ganze Verzweiflung der Anti-Helden wird währenddessen immer deutlicher. Das braucht seine Zeit, aber die ist gut investiert, da nur so das spätere Geschehen psychologisch glaubhaft wird. Erst nach etwa 35 Minuten setzt die eigentliche Handlung ein, und fast eine geschlagene Stunde dauert es, bis die Wagen losrollen.
In den allermeisten internationalen Filmführern wird Clouzots explosiver Thriller immer noch als einer der spannendsten Filme überhaupt gerühmt. Der Nervenkitzel funktioniert dabei fast ausschließlich im Kopf, nicht über gigantische Actioneinschübe: Jedes simple Schlagloch wird zur tödlichen Bedrohung. Das ist immer noch von einer inszenatorischen Dichte, die im Kino immer schon rar war und in den letzten Jahren sicher nicht häufiger geworden ist.
Abspann In Deutschland war Lohn der Angst
jahrzehntelang nur in einer erheblich
gekürzten Version zu sehen (und natürlich in Vollsynchronisation, wodurch die atmosphärisch
wichtige, geradezu babylonische Sprachverwirrung in dem Dreckskaff unter den Tisch fiel).
Inzwischen wurden die fehlenden Teile nachsynchronisiert, aber am besten beschafft man sich eine
untertitelte Fassung.
1977 verfilmte Oscar-Preisträger William Friedkin (French Connection
) den
Stoff neu unter dem Titel Atemlos vor Angst
. Obwohl er im Gegensatz zu Clouzot von Anfang
an nicht mit Blut und Action spart und (überflüssigerweise) die Vorgeschichte seiner vier
Hauptgestalten mitliefert, war der Film ein kommerzieller Misserfolg und erntete bei der Kritik
geradezu wütende Verrisse. In letzter Zeit mehren sich die wohlwollenden Stimmen,
doch nichtsdestotrotz bleibt diese Neuauflage unter dem Strich oberflächlich und vordergründig.