Musik aus der Ferne

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Ich wurde römisch-katholisch erzogen: Religionsunterricht jeden Mittwoch nachmittag, mit groben Nonnen, die unterrichteten, dass Deine Seele weiß ist und Sünden dort schwarze Punkte hinterlassen. Wenn Du mit diesen schwarzen Punkten stirbst, fährst Du für immer in die Hölle.

Gott wünscht, dass Du gut bist (er liebt Dich - und eben deshalb würde er Dich auf ewig in den Hölle stecken), und die Kirche kann Deine Sünden entfernen. Das bedeutete Schuld, Furcht usw., besonders für einen kleinen Jungen, in dessen Natur es offenbar lag zu sündigen, einfach weil er das tat, was kleine Jugen so tun.

Ich mochte die Kirche nicht und ging ihr aus dem Weg. Mit 13 entschied ich, den ganzen Schlamassel komplett aufzugeben. Ungefähr zur gleichen Zeit stieß ich beim Arbeiten in der Schulbibliothek auf ein Buch mit dem Titel A Buddhist Bible von Dwight Goddard. Ich laß eine Menge darin, verstand sehr wenig, aber mochte es irgendwie. Im folgenden Jahr oder den zwei folgenden las ich das Bhagavad Gita, etwas aus den Upanishaden und eine Vielzahl philosophischer Arbeiten.

Im Alter von 14 oder 15 hatte ich einen Freund, dessen Vater ein Baptistenprediger war; dieser betreute die Kirche am Ende der Straße, in der ich lebte. Mein Freund war ein lebhafter und rebellischer Predigersohn, und wir zwei kamen gut miteinander aus.

Einmal lud er mich zu einer Messe in die Kirche ein, und ich dachte, es wäre gut für mich zu wissen, wie ein Messe ist. Ich wurde erschreckt und fast krank durch das, was ich dort sah und was ich an mir selbst beobachtete: die Propagandatechniken zur Beeinflussung der Massen umfaßten alles, wovon ich gelesen hatte, und waren kraft- und wirkungsvoll. Hitler hätte es gefallen - obwohl seine Ziele ziemlich unterschiedlich waren. Ich fühlte mich sehr stark mitgerissen, obgleich ich wußte, dass ich nicht den Lehren glaubte, die vorgetragen wurden.

Zum Ende hin wurden Leute gebeten, nach vorne zu kommen und ihre Seelen Christus zu widmen. Das war der Höhepunkt des Abends, für den eine gute Grundlage bereitet worden war. Die Musik, die Fürbitten, die Überzeugungskraft waren sehr stark. Ich glaubte, losschreien zu müssen, ich wurde zum Altar gezogen - und es brauchte eine erstaunliche Menge Willensstärke, dem zu widerstehen. Ich fühlte damals intuitiv, was ich heute in Worte fassen kann:

Es ist eine Sache, Deine Individualität zu opfern; es ist eine andere, sie weggenommen zu bekommen.

Ungefähr im Alter von 16 oder 17, war ich beim Lesen von Bertrand Russell und Henry Louis Mencken tief ergriffen, und wollte das Christentum noch einmal zu untersuchen. Ich verabredete mich mit verschiedenen katholischen Priestern und befragte sie. Nutzlos. Sie töteten es für mich. Wann immer einer von ihnen in der Klemme saß, war die Antwort: Wer sind wir, dass wir die unendliche Weisheit Gottes in Frage stellen? Ein schwaches Ausweichen vor einer schwierigen Frage, anstatt die Schwierigkeit zu gestehen, das Überprüfen vorläufigen Antworten und etwas Bemühens. (Während ich dies schreibe, sehe ich, dass ich bereits damals von der wissenschaftlichen Methode angesteckt war. Das ist eine der Facetten, die den Buddismus attraktiv machen.)

Als ich nach Princeton ging, war dort der Kirchenbesuch obligatorisch: Du mußtest drei Wochen im Monat oder so irgendeine Messe besuchen. Ich hielt es für dumm, etwas zu tun, woran ich nicht glaubte, und heuchlerisch, also ging ich zum Dekan und erklärte ihm, dass ich heraus wollte. Seine Reaktion war erstaunlich: Ich bin hier Dekan seit 24 Jahren, und niemand hat jemals gebeten, vom Kirchenbesuch befreit zu werden. Worauf ich antwortete: Das interessiert mich nicht. Ich will raus. Er sagte nichts, also hakte ich nach: Was soll ich tun?

Er ließ zum Kirchenvorstand gehen und mit diesem sprechen. Ich mochte ihn. Er und seine Frau waren während des Zweiten Weltkrieges in einem Gefängnislager und dort von Japanern gequält worden. Er war ehrlich, er war liebenswürdig, er hatte Stärke. Wir sprachen einmal wöchentlich über Religion. Aber, während ich ihn mochte und respektierte, konnte ich seinen Glauben nicht annehmen. Ich erklärte ihm, dass ich die Gespräche beenden wollte, und er ließ mich gehen mit der Vereinbarung, dass ich ein Papier über meinen Glauben schreiben würde - Abgabetermin der Tag vor Ostern.

Einmal in den frühen sechziger Jahren ging ich meinen Freund besuchen, der ein japanischer Amerikaner war. Er war nicht da, aber sein Vater. Wir waren alleine, also setzten und unterhielten wir uns. Er erzählte mir, dass obwohl in den Vereinigten Staaten geboren, er während des zweiten Weltkrieges hier in ein Konzentrationslager kam und sein Eigentum konfisziert wurde, weil er Japaner sei. Er war immer noch verbittert, was mir vernünftig schien. Ich erinnere daran, dass wenn er über Weiße sprach, er das Wort Caucs verwendete, was mir eine sehr gefällige und passende Schöpfung schien und dem Wort Japs in seiner Schärfe und Verunglimpfung entsprach.

Ich denke, er beobachtete, dass ich nicht zuckte. Auf jeden Fall stellte er mir verschiedene japanische Nahrungsmittel vor, war überrascht, dass ich sie mochte, und zeigte mir, wie man Eßstäbchen benutzt, mit denen ich zu meiner Verwunderung und zu seinem Vergnügen gleich beim ersten Mal recht gut zurechtkam. Währenddessen befragte er mich über meinen Glauben, und wir diskutierten über Philosophie. Als ich aufbrechen wollte, sagte er: Wissen Sie, ich denke fast, dass Sie ein Buddhist sind, es aber nicht wissen. Als ich lachte, fügte er hinzu: Schon ok, aber denken Sie darüber nach, und vielleicht sehen Sie es eines Tages.

Als ich ungefähr 23 war, hatte ich einen Anfall von etwas wie semantischer Aphasie. Ich könnte die Wörter auf einer Seite sehen, aber ich konnte keinen Sinn darin erkennen. Ich hatte auch heftige Kopfschmerzen und anderes, woran ich mich im Moment aber nicht erinnere. Ich besuchte einen Psychiater und hatte dort meine erste Bekanntschaft mit einem Rorschachtest. Der Psychiater verschrieb mir ein Medikament und sprach zweimal die Woche mit mir. Er war nett, aber die Sitzungen schienen sinnlos.

Das lief so etwa sechs Monate, da ging ich mit einigen meiner Freunde in Berkeley Billiard spielen, und das endete mit den übelsten Kopfschmerzen, die ich jemals hatte. Ich stellte fest, dass ich die letzten ungefähr zwei Tage (oh je!) meine Medikamente nicht genommen hatte, und kam zu der Überzeugung, dass ich mich vielleicht nicht wirklich irgendwie erholte, sondern einfach nur unter Drogen gehalten wurde.

Ich ging nicht mehr zu den Sitzungen, ich nahm die Tabletten nicht mehr und entschied mich, den Schmerz meinen Führer sein zu lassen. Solange es schmerzte, war etwas nicht in Ordnung. Ich sollte versuchen, das herauszufinden und es in Ordnung zu bringen. Unter der Annahme, dass mein Naturzustand ohne Schmerz ist.

Etwas später stieß ich beim Stöbern in einer Buchhandlung in Berkeley (ich bin ein Bücherwurm) auf ein Buch von Alan Watts, entweder The Way of Zen oder The Spirit of Zen (deutsch: Vom Geist des Zen). Ich las es, und was es zu sagen hatte, zog mich an - wie Musik aus der Ferne: manchmal ist sie deutlich, manchmal nicht, und manchmal verschwindet sie.

Ich sollte zum Ende kommen. Ich hatte Angst, der Text würde viel zu lang werden. In aller Kürze:

  • ich habe eine Menge buddhistischer Texte gelesen und sogar etwas davon verstanden.
  • Ich bin aber mehr fasziniert von dem, was ich nicht verstehe.
  • Ich habe eine Reihe Vorträge über Buddhismus gehalten
    (ein Blinder führt die Blinden - ich würde das heute nicht mehr tun).
  • Ich bin zu eingen Sesshins gegangen
  • usw.

Ich bin immer noch kein Buddhist, aber möglicherweise werde ich immer mehr einer.

Ich folge noch immer der Musik aus der Ferne.

Allan Adasiak <phoenix @ alaska.net>