Der Weise mit dem Gurkenfaß

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Diese Geschichte stammt aus einem Zen-Zentrum in Los Angeles. Der Einreicher will anonym bleiben. Danke Freund!

Das Leben und Lehren des Wu-Ming

Zusammengestellt von Meister Tung-Wang
Abt des Han-Hsin Klosters im dreizehnten Jahr der Periode des Erddrachens (889)

Mein lieber Freund, hochverehrter Meister Tung-Wang,

Alt und krank liege ich hier und weiß, dass das Schreiben dieser Worte das letzte ist, was ich auf dieser Erde tue, und dass, wenn Du diese Worte liest, ich bereits dieses Leben verlassen habe.

Obwohl wir und in den vielen Jahren seit unserem gemeinsamen Studium bei unserem hochverehrten Meister nicht gesehen haben, habe ich oft an Dich gedacht, seinen werten Nachfolger. Mönche aus ganz China sagen, dass Du ein wahrer Löwe im Buddha-Dharma bist, mit Augen wie funkelnde Sterne, Hände wie Gewitter, und dessen Stimme wie der Donner grollt. Es wird gesagt, dass alles, was Du tust, Himmel und Erde erschüttert und die Elefanten und Drachen der Illusionen hilflos zittern läßt. Ich habe gehört, dass die Strenge deines Klosters unübertroffen ist, und dass unter Deiner anspruchsvollen Anleitung hunderte Mönche mit äußerstem Eifer und Kraft ihr Training absolvieren.

Ich habe aber auch gehört, dass bei der Suche nach einem erleuchteten Nachfolger Dir das Glück nicht so hold war. Und das bringt mich zum Thema dieses Briefes.

Ich bitte Dich nun, Deine Aufmerksamkeit dem jungen Mann zuzuwenden, an den dieser Brief angeheftet ist. Wenn er vor Dir steht, zweifellos dümmlich grinsend, während er sich mit eingelegten Gurken vollstopft, wirst Du Dich fragen, ob er so komplett unbedarft ist wie es aussieht, und wenn ja, was mich veranlaßte, ihn zu Dir zu schicken. Als Antwort auf die erste Frage versichere ich Dir, dass Wu-Mings Unbedarftheit weit umfassender ist als Du nach der bloßen Erscheinung annehmen würdest. Auf die zweite Frage kann ich nur sagen, dass trotz seiner Verfassung, oder vielleicht auch wegen dieser, oder noch wahrscheinlicher sowohl trotz als auch wegen ihr, Wu-Ming ahnungslos und versehentlich die Aufgabe eines großen Bodhisattva zu erfüllen scheint. Vielleicht ist er Dir eine Hilfe.

Laß ihn sechzehn Stunden am Tag schlafen und gib ihm genug eingelegte Gurken, und Wu-Ming wird immer zufrieden sein. Erwarte nichts von ihm, und Du wirst immer zufrieden sein.

Hochachtungsvoll,
Chin-Mang

Nach dem Begräbnis von Chin-Mang kümmerten sich die Unterstützer seines Tempels um die Reise von Wu-Ming zum Han-Hsin Kloster, wo ich damals wie heute als Abt lebte. Ein Mönch fand Wu-Ming an der Klosterpforte, sah meinen Namen auf einem Brief an Wu-Mings Kleidung, und führte Wu-Ming in mein Zimmer.

Es ist üblich, dass beim ersten Treffen mit dem Abt eines Klosters ein neu eingetroffener Mönch sich dreimal auf den Boden wirft und respektvoll um Aufnahme in das Kloster bittet.

Deshalb war ich etwas überrascht, als Wu-Ming in mein Zimmer trat, eine eingelagte Gurke aus dem Faß unter seinem Arm in seinen Mund steckte, sie genüßlich zerkaute und dann in das zahnlose schwachsinnige Grinsen verfiel, das später legendär werden sollte. Er schaute sich flüchtig im Raum um, leckte sich laut die Lippen und fragte: Was gibt es zu Mittag?

Ich las die Worte des guten alten Chin-Mang, rief dann den leitenden Mönch und bat ihn, meinen neuen Schüler in das Möchsquartier zu bringen. Als sie gegangen waren, dachte ich über Chin-Mangs Worte nach. In der Tat was das Han-Hsin-Kloster ein sehr ernster Trainingsort: die Winter waren bitter kalt, und im Sommer brannte die Sonne. Die Mönche schliefen nur drei Stunden am Tag und aßen nur eine einfache Mahlzeit am Tag. Den Rest des Tages arbeiteten sie hart im Kloster oder übten hart in der Meditationshalle.

Aber leider hatte Chin-Mang richtig gehört: unter all meinen Schülern war niemand, vom dem ich überzeugt war, dass er ein würdiges Gefäß sei zur Aufnahme des nichtübertragbaren Dharma. Ich hatte begonnen zu befürchten, dass ich eines Tages bar selbst eines einzigen Nachfolgers meine Pflicht nicht erfüllen könnte, die Dharma-Linie meines Lehrers fortzusetzen.

Nicht etwa dass man den Mönchen Selbstgefälligkeit oder Trägheit vorwerfen konnte. Ihr aufrichtiges Bestreben und ihre disziplinierte Anstrengungen waren in der Tat bewundernswert, und viele hatten eine große Klarheit im Verständnis erreicht. Aber sie dachten nur ihre Fähigkeit zu harter Disziplin und waren stolz auf ihr Verständnis. Sie stritten sich um angesehene Positionen und Macht und wetteiferten untereinander um Anerkennung. Eifersucht, Rivalität und Ehrgeiz schienen wie eine dunkle Wolke über dem Han-Hsin-Kloster zu hängen und auch den Weisesten und Aufrichtigsten in ihren undurchsichtigen Dunst zu ziehen. Ich hielt Chin-Mangs Brief vor mich und hoffte und betete, dieser Wu-Ming, dieser Bodhisattva aus Versehen möge die Hefe sein, die mein Rezept so dringend brauchte.

Zu meinem erstaunten Vergnügen lebte Wu-Ming im Hang-Shin wie ein Fisch im Wasser. Auf meinen Wunsch bekam er eine Aufgabe in der Küche und legte Gemüse ein. Diese Aufgabe erfüllte er unermüdlich, und mit fröhlicher Ernsthaftigkeit, holte und mischte er die Zutaten, hob schwere Fässer, holte und trug Wasser, und - natürlich - probierte er oft das Ergebnis seiner Arbeit. Er war glücklich.

Wenn die Mönche sich in der Mediationshalle trafen, saß Wu-Ming bereits in absoluter Bewegungslosigkeit, anscheinend in großer und tiefer Versenkung. Niemand kam darauf, dass das einzig große an Wu-Mings Meditation die Unwahrscheinlichkeit war, dass er die Meditationshaltung, die Beine über Kreuz im Lotus-Sitz, den Rücken gerade und aufrecht, so hilfreich finden konnte für die langen Stunden des Schlafs, die er so genoß.

Tag um Tag und Monat um Monat kämpften die Mönche, um die körperlichen und geistigen Anforderungen des Klosterlebens zu erfüllen, nur Wu-Ming schaffte alles mühelos mit einem Grinsen im Gesicht und einem Pfeifen auf den Lippen.

Auch wenn, um die Wahrheit zu sagen, Wu-Mings Zen-Übung ohne jegliches Ergebnis war, wurde er nach dem äußeren Anschein von allen als ein weit fortgeschrittener Mönch mit perfekter Disziplin angesehen. Natürlich hätte ich dieses Mißverständnis leicht genug aufklären können, doch ich fühlte, dass Wu-Mings einzigartiger Zauber Wirkung zeigte, und ich würde doch nicht auf dieses absurd hilfreiche Hilfsmittel verzichten.

Abwechselnd waren die Mönche neidisch, verwirrt, feindlich, beschämt und angeregt durch das - wie sie annahmen - Große, was Wu-Ming erreicht hatte. Natürlich passierte es Wu-Ming nie, dass sein oder das Verhalten anderer solche Beurteilungen erforderte, einfach weil sie Ausarbeitung einer viel hochentwickelteren Natur waren als sein eigener Geist fähig war. In der Tat war alles an ihm so offensichtlich und einfach, dass andere ihn für überaus raffiniert hielten.

Wu-Mings unergründliche Anwesenheit brachte das Leben der Mönche gewaltig durcheinander und untergrub das Netz der Rationalisierungen, das so oft solche Verärgerungen begleitet. Seine äußerste Offensichtlichkeit machten ihn unverständlich und immun gegen die sozialen Ansprüche der anderen. Versuche von Schmeichelei und Beschimpfung stießen auf dasselbe unverständige Grinsen, ein Grinsen, das die Mönche für die äußerste Stufe perfekter Weisheit hielten. Sie fanden keine Erleichterung oder Ablenkung in solchem Austausch, und mußten so die Quelle und die Auflösung ihrer Angst in ihrem eigenen Geist suchen. Noch wichtiger, und noch absurder, verursachte Wu-Ming in den Mönchen ein unbeherrschbares Bedürfnis, völlig in die Lehre des Der große Weg ist ohne Schwierigkeit einzudringen, die er ihrer Meinung nach verkörperte.

Obwohl ich im Laufe meines Lebens vielen der ehrenwertesten Vertreter der Lehre des Tathagata begegnet bin, habe ich nie einen getroffen, der so geschickt darin war, andere zu ihrer ureigenen Buddha-Natur zu erwecken wie dieser wunderbar unbedarfte Wu-Ming. Seine geistigen non-sequiturs waren wie Funken, die die Flamme der erleuchtenden Weisheit im Geist von vielen anzündeten, die sich mit ihm unterhielten.

Einmal trat ein Mönch an Wu-Ming heran und fragte voller Ernst: Was ist das Wundervollste im ganzen Universum? Ohne Zögern hielt Wu-Ming dem Mönch eine Gurke vors Gesicht und rief: Es gibt nichts wundervolleres als dies. Da durchbrach der Student den Dualismus von Subjekt und Objekt: Das ganze Universum ist eine eingelegte Gurke; eine eingelege Gurke ist das ganze Universum! Wu-Ming lachte still und sagte: Erzähl keinen Unsinn. Eine Gurke ist eine Gurke und das ganze Universum ist das ganze Universum. Was könnte offensichtlicher sein? Dem Mönch wurde der perfekte Ausdruck der Absoluten Wahrheit in der dinglichen Welt klar, er klatschte in die Hände, lachte, und rief: Im ganzen unendlichen Raum ist alles köstlich sauer!

Bei einer anderen Gelegenheit fragte ein Mönch den Wu-Ming: Der dritte Patriarch sagte: Der Große Weg ist ohne Schwierigkeit, höre einfach auf, Vorlieben zu haben. Wie kannst Du da Gurken genießen, aber es ablehnen, auch nur einmal in eine Möhre zu beißen? Wu-Ming antwortete: Ich liebe Gurken und ich hasse Möhren. Der Mönch wich zurück wie vom Blitz getroffen. Dann lachte und weinte und tanzte er herum und rief: Gurken mögen und Möhren hassen ist ohne Schwierigkeit, hör einfach auf den Großen Weg zu bevorzugen.

Keine drei Jahre nach seiner Ankunft waren die Geschichten des Großen Bodhisattva aus dem Han-Shin-Kloster in allen Provinzen Chinas bekannt. Ich kannte Wu-Mings Ruhm und war deshalb nicht ganz überrascht, als ein Bote des Kaisers erschien und Wu-Ming für sofort in den kaiserlichen Palast bestellte.

Von überall im Reich wurden Vertreter der drei Lehren des Buddhismus, des Konfuzianismus und das Taoismus in die Hauptstadt geladen, und der Kaiser würde eine Lehre als die wahre Religion ausrufen, die in allen von ihm regierten Ländern gelehrt und praktiziert werden solle.

Die Idee eines solchen Wettstreites um die kaiserliche Gunst gefiel mir nicht, und ich war tief besorgt wegen möglichen religiösen Verfolgungen. Aber einen Befehl des Kaisers kann man nicht mißachten, also brachen Wu-Ming und ich am nächsten Tage auf.

In der Großen Halle waren mehr als hundert Priester und Lehrer versammelt, die miteinander debattieren sollten. Sie waren umgeben von den mächtigsten Fürsten aus ganz China zusammen mit den unzähligen Beratern des Sohns des Himmels.

Auf einmal schmetterten Trompeten, Becken wurden geschlagen, und überall stiegen Wolken von Weihrauch auf. Der Kaiser wurde von einem Gefolge an Wachen zum Thron getragen. Das erforderliche Zeremoniell war jetzt durchgeführt, und der Kaiser gab das Zeichen, die Debatte zu beginnen.

Stunden vergingen, während Priester und Lehrer einer nach dem anderen vortraten, ihre Grundregeln vortrugen und auf Fragen antworteten.

Von all dem bekam Wu-Ming nichts mit. Er saß zufrieden und stopfte sich mit seinem Lieblingsessen voll. Als sein Vorrat verbraucht war, kreuzte er glüclich die Beine, streckten den Rücken und schloß die Augen. Aber die Unruhe und der Lärm waren so groß, dass er nicht schlafen konnte. So wurde er von Minute zu Minute ruheloser und reizbarer.

Gerade als ich ihn fest im Genick packte, um ihn zurückzuhalten, winkte der Kaiser Wu-Ming zu sich an den Thron heran.

Als Wu-Ming vor ihn getreten war, sagte der Kaiser: Im ganzen Land wirst Du verehrt als ein Bodhisattva, dessen Geist wie das Große Nichts selbst ist. Dennoch hast Du noch kein Wort zu diesem Disput beigesteuert. Deshalb fordere ich Dich nun auf: erkläre mir den Wahren Weg, dem alles unter dem Himmel folgen muß..

Wu-Ming sagte nichts.

Nach ein paar Augenblicken sprach der Kaiser wieder, mit einem Zeichen von Ungeduld: Vielleicht hast Du nicht zugehört, also wiederhole ich mich: erkläre mir den Wahren Weg, dem alles unter dem Himmel folgen muß..

Wu-Ming sagte immer noch nichts, und die Menge wurde still, während alle vorwärts drängten, Zeuge des Mönchs zu werden, der es wagte, sich in Anwesenheit des Kaisers so kühn aufzuführen.

Wu-Ming hörte nichts von dem, was der Kaiser sagte, und er spürte auch die Spannung nicht, die in der Halle vibrierte. Er wollte nur einen ruhigen Ort finden, wo er ungestört schlafen konnte.

Der Kaiser sprach wieder, seine Stimme zitterte vor Wut, sein Gesicht war blaß vor Ärger: Du bist zu dieser Versammlung berufen worden, um die buddhistische Lehre zu vertreten. Deine Respektlosigkeit wird nicht länger toleriert werden. Ich werde ein weiteres Mal fragen, und solltest Du wieder nicht antworten, so versichere ich Dir, wird das schwere Folgen haben. Erkläre mir den Wahren Weg, dem alles unter dem Himmel folgen muß!

Ohne ein Wort zu sagen, drehte Wu-Ming sich um und lief, während alle sich in ungläubigem Schweigen anstarrten, den Gang hinunter und verschwand durch die Tür.

Die Menge erstarrte in fassungslosem Unglauben, dann explodierte sie in ein wildes Durcheinander. Einige applaudierten Wu-Mings brillianter Demonstration religiöser Einsicht, während andere empört und wütend herumliefen und ihm Drohungen und Verwünschungen hinterherriefen auf dem Weg, den er gerade genommen hatte.

Der Kaiser wußte nicht, ob er Wu-Ming preisen oder ihn köpfen lassen sollte und wandte sich an seine Berater. Aber auch die wußten nicht weiter. Der Kaiser betrachtete die wilde Anarchie, zu der sich die große Debatte entwickelt hatte.

Schließlich mußte er einsehen, dass, egal welche Absichten Wu-Ming gehabt haben mochte, es nun nur einen Weg gab zu verhindern, dass aus der Debatte eine große Peinlichkeit wurde:

Der große Weise aus dem Han-Hsin-Kloster hat kunstfertig gezeigt, dass das große Tao nicht in Regeln gefaßt werden kann, sondern am besten durch passende Taten ausgedrückt wird. Laßt uns alle von der Weisheit profitieren, an der er uns so voller Mitgefühlt hat teilnehmen lassen, und uns anstrengen, jeden einzelnen Schritt zu einem zu machen, der Himmel und Erde vereint, und dem allumfassenden und unergründlichen Tao folgen.

Damit beendete der Sohn des Himmels die Große Debatte.

Ich lief sofort hinaus, um Wu-Ming zu finden, aber er war in den belebten Straßen der Hauptstadt verschwunden.

Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und ich habe nichts von ihm gehört. Aber ab und zu übernachtet ein Wandermönch im Han-Shin-Kloster und bringt Nachrichten. Ich habe gehört, dass Wu-Ming in diesen zehn Jahren durch das Land gewandert ist beim vergeblichen Versuch, nach Hause zu finden.

Wegen seines Ruhmes wird er gegrüßt und überall sehr für ihn gesorgt, jedoch merken die, de ihm bei seiner Reise helfen wollen, normalerweise, dass ihnen selbst geholfen wurde.

Ein junger Mönch erzählte von einer Begegnung, als Wu-Ming ihn fragte: Kannst Du mir sage, wo mein Zuhause ist?
Durch den Geist der Frage verwirrt, fragte der Mönch zurück: Meinst Du Dein Zuhause in der relativen Welt von Zeit und Raum, oder das wirkliche Zuhause der alles überdauernden Buddhanatur?

Wu-Ming dachte über die Frage nach, dann sah er auf, grinste, wie nur er das kann, und sagte: Ja.