Das Recht auf Meinungsäußerung

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Nach Artikel 5 des Grundgesetzes hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Dieses Recht auf Meinungsäußerung impliziert insbesondere auch das Recht auf sinnfreie Meinungsäußerungen.

Mancher Meinungsäußerer geht davon aus, dass das Recht auf Meinungsäußerung auch ein Recht auf die Wahrnehmung der Meinungsäußerung durch andere impliziert. Das ist aber falsch: Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist da eindeutig.

Im Allgemeinen ist das Interesse möglicher Rezipienten einer Meinungsäußerung an der Meinungsäußerung erheblich geringer als vom Äußerer der Meinung erstrebt oder angenommen. Wer kennt nicht die tragischen Gestalten der Wachtturm-Gesellschaft, deren wichtige Publikationen bei einem Großteil der Gesellschaft auf Unverständnis, ja Ablehnung stoßen.

Vor Entwicklung der Kommunikationstechnik war das Problem lokal begrenzt: seine Meinung konnte man nur gegenüber Menschen aus der unmittelbaren Umgebung äußern, Meinungsäußerung unterlag einer sozialen Kontrolle, Meinungsäußerungen im Übermaß wurden sanktioniert, teils verbal (“Schleich di!”), teils durch unmittelbaren Zwang.

Die Entwicklung der Kommunikationstechnik ermöglicht es heute dem Meinungsäußerer, seine Meinung gegenüber einer viel größeren Zahl möglicher Rezipienten zu äußern. Leider stehen nicht nur dem Meinungsäußerer eine größere Zahl möglicher Rezipienten gegenüber, sondern – und darin liegt die Tragik der Kommunikationstechnik – dem Rezipienten auch eine größere Zahl, ja geradezu ein Übermaß an Menschen gegenüber, die von ihrem Recht auf Meinungsäußerung – teils rücksichtslos – Gebrauch machen.

Die Folgen sind fatal: so mag man sich an einer vierstelligen Zahl von Followern bei Twitter erfreuen, doch beibt ein nagender Verdacht: wenn jeder diese Follower auch einer vierstelligem Zahl anderer Meinungsäußerer folgt, hat er möglicherweise nicht die Muße, sich meinen Meinungsäußerungen mit der geboteten Sorgfalt zu widmen.

Die Lage bei Facebook ist keineswegs beruhigender: so kann ich nicht prüfen, ob meine wenigen Tausend Freunde™ wirklich meine Meinungsäußerungen zur Kenntnis nehmen. Denn diese könnten durch Meinungsäußerungen anderer abgelenkt sein oder sogar mich in eine Ignorierliste aufgenommen haben.

Es bleibt schwierig.