Émile Zola und die Sexualpädagogik

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Das österreichische Bundesministeriums für Bildung und Frauen hat mit dem Rundschreiben Nr. 11/2015 seinen Grundsatzerlass Sexualpädagogik aktualisiert. Altmodische Begriffe wie Liebe, Bindung oder — oh Graus! — Familie sucht man darin vergebens, dafür liest man: Sexualpädagogik in der Schule [beginnt] mit dem Schuleintritt.

Die Zeitschrift diepresse.com kommentiert:

Sexualerziehung: Ein neuer Erlass, der an Kindesmissbrauch grenzt

Die Bildungsministerin will neue Standards in der Sexualpädagogik an Schulen: Ausschaltung der Eltern sowie Lust und Genuss statt Werte und Beziehung. […]

Es ist schon komisch: auf der einen Seite versucht man, Kindern gegenüber so zu tun, als gäbe es keinen Sex, also versuchen Jugendschutz-Organisationen, sie vor grässlichem Internet-Schweinkram zu bewahren. Auf der anderen Seite meint man, ihnen im Kindergarten den Gebrauch von Analdildos erklären zu müssen. Hmm. Komisch.

Nein, nicht komisch.

Sondern einfach nur verkrampft.

Ich wiederhole mich an dieser Stelle: Zola lesen hilft! Hab vor ein paar Tagen mit Die Erde angefangen, der im Bauernmilieu spielt. Erstaunlich die Unbefangenheit, mit der Zola das Thema angeht. In der Eingangsszene begegnen wir der 14-jährigen Françoise, die eine Kuh zum Decken führt. Genauer: die Kuh ist so geil, dass das arme Mädel von ihr über den Acker geschleift wird, bis der wackere Landbursche Jean eingreift. Okay, die Kuh landet also beim Bullen, ist aber zu groß für ihn, er kriegt's irgendwie nicht gebacken. Also meint das Mädel, da muss man wohl nachhelfen, packt den Stierpimmel und steckt ihn der Kuh an der richtigen Stelle rein, völlig ungerührt, weil sie's wahrscheinlich schon 100mal gemacht hat.

Mich will dünken, das Mädel brauchte damals keine grüne, genderkorrekte Sexualerziehung.

Aber es ist schon erstaunlich, dass Zola sich 1887 an solche Szenen rangewagt hat. Leider sind die für lau erhältlichen Übersetzungen bei Projekt Gutenberg (oder auch die kostenlosen E-Books) grottenübel, deshalb kann man die nicht empfehlen. Schon der Titel wird von Die Erde zu Mutter Erde verniedlicht, aus Jean wird Hans, aus Françoise eine Franziska, während die Nachnamen aber Hourdequin und so weiter bleiben. Argl, das war eben der Zeitgeschmack, aber das muss man sich nicht mehr geben!

Also, Literatur kostenlos unters Volk bringen, okay, aber wer das in dieser Übersetzung liest, lässt wohl für immer die Finger von Zola, und das hat der nicht verdient!

(Ich hab eine antiquarisch erworbene DDR-Ausgabe mit guter Übersetzung, ausführlichem Nachwort und reichhaltigen Anmerkungen, aus der Gesamtedition von Rita Schober, immer noch Maß aller Dinge.)