Ein Treffen mit dem Dalai Lama

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In den frühen Siebzigern, als so viele Menschen Wiedergeborene Christen wurden, lebte ich mit einer seltsamen Furcht: die Hand Gottes würde aus dem Himmel kommen, auf meinen Kopf klopfen und sagen: Poof! Du bist nun eine Wiedergeborene Christin.

Ich wollte keine sein.
Und war in Sorge, dass dies außerhalb meiner Kontrolle passieren könnte.

Jetzt in den späten Neunzigern würde ich drei Tage in der Veranstaltungshalle von Pasadena verbringen und dem Dalai Lama zuhören. Und ich hoffte, dass dort irgendein universaler Blitz mich in meinem Kopf treffen und zur voll Erleuchteten machen würde.

Denn ich wollte eine sein.
Und war in Sorge, dass ich niemals erleuchtet würde.

Und ich wurde nicht erleuchtet.

Ich weiß natürlich sehr gut, dass es dem Weg des Buddhismus widerspricht, Erleuchtung als Ziel zu haben. Meditation ist nicht zielgerichtet.

Aber ich bin ein Kind der Sechziger aus dem Westen und kann offenbar mein Verlangen nicht zügeln, dass meine Meditation und spirituellen Suche ein Ergebnis habe und etwas mit mir geschehe.

Dass bereits etwas mit mir geschah - ich bin glücklicher, ruhiger, weniger zornig, dafür mitfühlender, und (am wichtigsten) ich rase auf der Straße sehr viel weniger - das ist mir offenbar die meiste Zeit entgangen.

Während ich unbequem mit gekreuzten Beinen auf einem Zuhörer-Sitz saß, führten der Dalai Lama und ein Haufen Mönche und Nonnen Zeremonien durch, saßen bequem im Lotussitz, bewegten ihre Hände zu den richtigen Mudras zur richtigen Zeit, sangen und verbeugten sich. Ich aber fühlte ich mich von ihren Handlungen getrennt, genau wie in der christlichen Kirche meiner Kindheit.

Damals, bevor ich zwölf wurde (zwölf war das magische Alter, in dem meine Mutter uns erlaubte zu entscheiden, ob wir zur Kirche gehen wollten oder nicht, und wir alle entschieden: nicht), saß ich in den harten Kirchenbänken und hörte zu, wie alle Lieder sangen, die ich nicht besonders mochte: meist waren sie zu süß und schmalzig mit wenig attraktiven Melodien. Denn sie standen im Wettbewerb mit denen der Beatles oder der Stones.

Dann hielt der Pastor eine viel zu lange Ansprache, und niemals sagte er etwas, das mich interessierte. Manchmal erzählte er eine Geschichte aus der Bibel, dann wurde ich wach und lauschte; doch sobald die Geschichte selbst vorbei war und er die Lehre daraus zog, sank ich zurück in meine Trübsal.

In meinen frühen Zwanzigern heiratete ich einen abgefallenen Katholiken. Als sein Vater starb, besuchten wir eine Messe, und ich war sowohl erstaunt als auch genervt von der Intensität der Zeremonie in der katholischen Kirche.

All dieses mysteriöse Zeug: du tauchst die Hand in Wasser und machst das Zeichen des Kreuzes, du trägst eine Kappe auf dem Kopf, der Priester bewegt Dinge auf dem Altar mit einer Bedeutung, die mir völlig entgeht, und das alles in einer fremden Sprache (Spanisch, nicht Latein).

Während ich also dem Dalai Lama in Pasadena zuhörte, fühlte ich mich geradewegs in diese katholischen Kirche zurückgesetzt:

  • Was sind das alles für Gegenstände, die gebracht, gesegnet, und zurückgebracht werden?
  • Was bedeuten diese verschiedenen Gesänge, und gibt es irgendwo im Programmführer die Übersetzung?
  • Warum ist, wenn der Dalai Lama auf Tibetanisch spricht und seine Worte ins Englische übersetzt werden, die englische Version soviel länger als die tibetanische Version?

Ich fühlte mich wirklich nicht als guter Zuhörer. Ich war zu skeptisch. Ich habe die Lehren des Buddha vollständig angenommen und bin glücklicher, seit ich begann, Buddhismus zu studieren und dem Pfad zu folgen. Ich mag, dass Du aufgefordert wirst, skeptisch zu sein, dass Du Fragen zu stellen sollst, alles selbst erfahren, und nicht irgendjemandes Wort einfach glauben.

Am Beginn der dreitägigen Vorlesung äußerte der Dalai Lama (wie er es oft tut), dass es das Beste für Menschen ist, in der Religion ihrer Kultur und ihrer Kindheit zu bleiben. Ich stritt mit ihm (in meinem Kopf) darüber, warum die Religion meiner Kindheit mir nicht auf dem spirituellen Weg geholfen hatte, und warum sein Buddhismus hilfreicher war. Ich stritt in meinem Inneren für ungefähr eine halbe Stunde; dann sah ich ein, dass es keine Bedeutung hat, was er über meinen Weg denkt; es zählt nur, was ich darüber denke.

So folgte ich konzentriert dem Unterricht. Das war sehr anstrengend. Wie an der Uni, aber alle Informationen in einer Sprache, die für westliche Ohren vollständig unverständlich ist (Ich versuchte immer wieder, spanische oder französische Wörter zu hören, denn das sind die einzigen Sprachen, mit denen ich vage vertraut bin), und dann ins Englische übersetzt von einem bemerkenswert fähigen jungen Mann mit einem enormen Gedächtnis.

Sein Englisch trug einen tibetanischen Akzent, aber fast alles war leicht zu verstehen. Ich mochte besonders seine Aussprache des Wortes inevitable mit der Betonung auf der Silbe vit anstatt auf der Silbe nev.

Am zweiten Tag begann seine Heiligkeit einen schrecklich esoterischen Teil der Vorträge über die Natur der Realität und des bedingten Entstehens. (Frage mich nicht nach Details: ich werde einen Band-Mitschnitt der Veranstaltung von einem Freund leihen und meinen viel logischer denkenden Mann bitten, es anzuhören und mir zu erklären.)

Ich war mir sicher, dass er über die Natur der Wirklichkeit und des tibetischen Entstehens sprach. Da ich die Lektion selbst nicht wirklich verstand, beschäftigte ich meinen Verstand damit, was tibetisches Entstehen sein könnte, und wie etwas, was so spezifisch für ein Land ist, seinen Weg in das buddhistische Dharma gefunden hat.

Was tat ich sonst?

  • Ich beobachtete die Tibeter im Publikum um mich, die auf die Worte des Dalai Lama reagierten, lange zuvor irgendjemand von uns das konnte.
  • Ich beobachtete die tibetischen Kinder, die in den Gängen auf und ab liefen und so gelangweilt von all dem Gerede waren, wie es jedes vierjährige Kind wäre.
  • Ich sah, wer zu spät kam, und wer Eindringlinge von seinem Platz entfernen mußte.
  • Ich sah, wer einschlief, und wer wiederholt die Toilette aufsuchte.
  • Ich sah die Sicherheitskräfte des Außenministeriums in ihre Kragen sprechen und die Menge beobachten, mit Augen so ernsthaft und konzentriert wie Radarstrahlen.

Ein Höhepunkt für die Sicherheitsleute kam am abschließenden Tag:

eine Frau eilte mit ihrem jungen Kind den Gang hinunter, setzte es auf den Rand des Podiums und drängte es, zum Dalai Lama zu gehen und ihm ein Stück Papier zu geben.

Die Sicherheitsleute wurden von einem sehr schnellen Mönch vernichtend geschlagen: dieser sprang aus seinem Lotossitz auf und erreichte das Kind viel schneller als die Männer, die bloß an den Seiten standen.

Der Mönch führte den Jungen zum Thron des Dalai Lama, hob ihn hoch, damit er gesegnet würde und sein Papier abliefere, und führte ihn von der Bühne zu seiner Mutter zurück.

Nach dieser Ungehörigkeit verließen die Sicherheitsleute ihre unauffälligen Positionen an den Wänden und stellten sich genau ans Ende jedes Ganges vor das Podium.

Eine undurchdringliche Sperre war nun aktiv; keine gefährlichen Kinder konnten mehr seine Heiligkeit erreichen.

Am dritten Tag legten wir ein Gelübde ab. Wir wiederholten, dass wir Schutz suchten im Buddha, im Dharma und im Sangha, aber wir taten dies in Tibetanisch, und es war schwierig, meine Zunge um diese sehr runden Silben zu wickeln.

Wir wurden durch eine Initiation geführt, in der wir uns den Lama Tsong Khapa mit drei Gottheiten vorstellten, eine an seiner Krone, eine an seiner Kehle und eine an seinem Herzen.

Wir sollten uns vorstellen, dass die blaugesichtige Gottheit blaue Lichtstrahlen und die weißgesichtige Gottheit weiße Lichtstrahlen aussenden. Die gelbgesichtige an der Spitze aber sendete aus irgendeinem Grunde rote Lichtstrahlen.

Es war interessant und überwältigend, sich dies alles vorzustellen und zu sehen, welche Gottheit welche Farbe hatte, welches Licht sie ausstrahlte und wo an seinem Körper sie sich befand.

Dann wurden wir aufgefordert, in die Gottheiten und das Licht aufzugehen und eins mit ihnen zu werden. Ich stellte mir das vor: und es fühlte sich großartig an.

Nicht überwältigend.

Keine Erleuchtung.

Nicht der Schlag auf den Kopf, den ich all mein Leben zu vermeiden suchte bzw. erwartete.

Nur erfüllend und angenehm.

Wir näherten uns dem Ende des Unterrichts und der Dalai Lama sagte, er hoffe, dass wenn er das nächste Mal uns besuchte, wir alle weiter sein würden auf unserem Weg als wir es heute sind. Kann er Schwingungen, Auren oder die heftigen Gefühle des Publikums sehen?

Ich fühlte mich ertappt und erwischt, als ob ich auf einer Prüfung betrogen hatte. So nickte ich meinen Kopf und gelobte zusammen mit den anderen (zumindest den Westlern), dass ich meine Übung fortsetzen würde und weiter auf dem Weg wäre, als er das nächste Mal zu uns käme.

Er ging. Wir gingen.

Meine Freunde und ich aßen indisch, bevor wir in unsere Welt geregelter Arbeit zurückkehrten. Sie schien irgendwie passend.

In dieser Nacht rief mich ein anderer Freund an, um zu hören, was ich dachte. Und meine einzig mögliche Antwort war Ich bin völlig am Ende.

Aber ich bemerke als langsame Nachwirkung, dass der Unterricht mich verändert hat:

  • Meine Meditationspraxis hat sich verbessert.
  • Ich will wieder an einigen Projekten arbeiten, die mir wichtig sind.

Ich bin glücklich, dass ich jene drei Tage durchlief. Er war alles so geheimnisvoll, und in vieler Hinsicht anders als meine Version der Wirklichkeit. Ich streife in Gedanken durch die ganze Zeremonie und die Fremdartigkeit, und fühle, dass irgendetwas sanft hereinkam und meinen Geist berührte.

Kein grosser Schlag auf den Kopf, kein heller Blitz der Erleuchtung, nur eine bescheidene, warme Offenheit um mein Herz.

Und schließlich beginnt dort das Mitfühlen.

(Amy Sedivy)