Ich bin nicht Charlie

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Am 07. Januar 2015 drangen zwei französische Islamisten in die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris ein, ermordeten 10 Redaktionsangehörige sowie einen Polizisten und verletzten 11 Menschen. Auf der Flucht fiel ihnen ein weiterer Polizist zum Ofer. Zwei Tage später wurden die beiden Täter von der Eingreiftruppe der Nationalgendarmerie (GIGN) gestellt und bei einem Feuergefecht getötet.

Dieser Terroranschlag löste weltweites Entsetzen aus und weltweite Verurteilung, sogar aus Teilen der Islamischen Welt. Der franzöische Staatspräsident François Hollande bezeichnete die Opfer als Helden. Mit Staatstrauer, Schweigeminuten, Trauermärschen und Kundgebungen wurder der Opfer gedacht.

Viele Menschen drückten bei den Kundgebungen und in den "Sozialen" Medien ihr Entsetzen und ihre Solidarität mit dem Mem Je suis Charlie aus.

Und an dieser Stelle steige ich aus, trotz all des Schrecken und Entsetzen: Je ne suis pas Charlie.

Ich erkläre den Grund.

  1. Ich denke nicht, dass wenn ich einem Verbrechen zum Opfer falle, ich dadurch ein besserer Mensch werde.

    Wenn ich Arschloch bin und von einem der einzelfälligen Messerstecher abgestochen werde, bin ich immer noch ein Arschloch. Wenn ich meine Frau geprügelt habe und dann abgestochen werde, entschuldigt das nicht meine Prügelei. Wenn ich eingebrochen habe und dann erschossen werde, wird zwar die Straftat nicht mehr verfolgt, ich bin aber immer noch ein Einbrecher. Und wenn ich im Zug mit einer Axt erschlagen werde, bin ich ein Opfer, aber kein Held.

    Zum Opfer einer Gewalttat zu werden entschuldigt nichts. Das gilt auch für die Redaktion von Charlie Hebdo.

  2. Ich halte den § 1 der Straßenverkehrsordnung für eine gute Vorlage für unser Verhalten in der Gesellschaft:

    1. Die Teilnahme an der Gesellschaft erfordert gegenseitige Rücksicht.
    2. Wer an der Gesellschaft teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

    Deshalb halte ich es für falsch und dumm, Menschen oder Gruppen zu beschimpfen oder verächtlich zu machen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob das im Einzelfall von einer Meinungsfreiheit abgedeckt ist oder nicht. Gezielt Menschen zu verletzten ist nicht in Ordnung.

  3. Etwas anderes als Verächtlichmachung und Beschimpfung von Menschen oder Gruppen ist die Kritik an Handlungen oder Aussagen von Menschen und Guppen. Kritik an Handlungen muss immer erlaubt sein. Diese Kritik äußern zu dürfen, ist ein wichtiger Teil der Meinungsfreiheit. Jeder muss Kritik ertragen. Wenn ich die Genitalverstümmelung von Mädchen bei den Muslimen und die von Jungs bei den Juden anprangere, müssen die beiden Gruppen damit leben. Auch damit, dass ich eher ungern Frauen in Stoffgefängnissen sehe und dass ich Aiman Mazyek nicht mag.

    Kritik an der Handlung oder Aussage einer Person ist aber etwas fundamental anderes als eine Beschimpfung der Person als Person.

Nach diesen Erklärungen zurück zum Thema.

Haben Sie sich einmal eine Ausgabe von Charlie Hebdo angesehen? Ein beträchtlicher Teil der vorgeblichen Satire ist keine Satire, keine – auch übertriebene – Kritik, sondern Beschimpfung und widerwärtige Hetze. Wie ein anderes Blog schreibt: Das Zeug hätte dem Stürmer alle Ehre gemacht. Mich erstaunt, dass 60.000 Franzosen sich diesen Dreck Woche für Woche antun.

Viele dieser Beschimpfungen richten sich gegen Weltanschauungen.

Und das gehört zu den Dingen, die ich nicht verstehe. Warum beschimpft man die Weltanschauung anderer Menschen? Damit meine ich nicht, siehe oben, Kritik an Handlungen von Anhängern einer Weltanschauung, sondern die Beschimpfung und Verächtlichmachung der Weltanschauung eo ipso. Welchen Zweck hat das? Wem nützt das? Wer ergötzt sich daran, und warum?

  • Ist es einfach nur Neid? Also Neid auf Menschen, die einen Sinn gefunden haben, die an etwas glauben, das ihnen Halt und Orientierung bietet?
  • Macht man Menschen anderer Weltanschauen nieder, um sich selbst erhaben fühlen zu können? Als was besseres?
  • Ist es Angst vor echten Themen? Zum Beispiel das Verhalten von Großkopferten, unter denen ganze Länder und Kontinente leiden? Hat man Angst vor denen und tritt deshalb, aus Feigheit, auf Wehrlose ein?

Oder übersehe ich was? Sie sehen mich hier völlig ratlos.

Was ist so lustig daran, den Papst, das Oberhaupt einer großen Religion und, nebenbei bemerkt, das Staatsoberhaupt des Vatikanstaates, in einer bepinkelten Soutane zu zeichnen? Was ist so lustig daran, Schweine auf einem Kreuz herumklettern zu lassen? Was ist so lustig daran, einen Schweinskopf an eine Moscheetüre zu hängen? Was ist so lustig daran, jüdische Grabsteine mit Hakenkreuzen zu besprühen? Und was ist so lustig daran, einen Religionsgründer als Carton zu zeichnen, von dem die Mitglieder dieser Religion wünschen, dass er nicht abgebildet wird (5. Buch Moses, Kapitel 5 Vers 8)? Und zwar unabhängig davon, ob es jeweils gesetzlich erlaubt ist oder nicht.

Das alles ist für mich nicht Ausdruck von Meinungsfreiheit, sondern es dient dazu, gezielt Menschen zu verletzen, billige Späße auf Kosten anderer. Es ist der Ausdruck eines menschenverachtenden und asozialen Denkens.

Und deshalb bin ich nicht Charlie.

Ich möchte, dass wir friedlich zusammenleben. Ich verletze Menschen nicht, jedenfalls nicht vorsätzlich. Ich beurteile Menschen nach ihrem Handeln und nicht nach ihrer Weltanschauung. Mit den Gestalten von Charlie Hebdo habe ich nichts, aber auch gar nichts gemein.

Mit den Attentätern auch nicht.